NACHKRIEG
Die über Jahrzehnte hinweg ausgebliebenen Auseinandersetzungen um die Nachgeschichte der wehrmachtgerichtlichen Spruchtätigkeit in Österreich sind vor dem Hintergrund eines komplexen Arrangements der Bewertung des Nationalsozialismus in der Zweiten Republik zu betrachten. Seit Kriegsende interpretierten die maßgeblichen politischen Eliten die Ereignisse zwischen 1938 und 1945 entlang der sogenannten Opferthese. Demnach sei Österreich als Objekt einer aggressiven und auf Expansion abzielenden Politik des Deutschen Reiches zu sehen: Staat und Bevölkerung seien ohnmächtig und widerwillig »angeschlossen«, die der Wehrmacht einverleibten österreichischen Soldaten in einen brutalen Krieg gezwungen worden; sowohl gegen Nationalsozialismus als auch gegen den Krieg habe es seitens der Bevölkerung breiten Widerstand gegeben, so die Diktion.
Diese den historischen Fakten nicht entsprechende Erinnerungssäule von »Opfer und Widerstand« wurde seit Beginn des Kalten Krieges ergänzt durch eine zweite geschichtspolitische Erzählung: den »Pflichterfüllungsdiskurs«. Demnach hätten insbesondere die rund 1,3 Millionen Österreicher in der Wehrmacht ihre vaterländische Pflicht erfüllt und (heldenhaft) einen Krieg zur Verteidigung der (österreichischen) Heimat und gegen den Bolschewismus in Europa geführt.
Die Durchsetzung dieser beiden sich widersprechenden Erinnerungsnarrative erforderte spezifische Formen des Vergessens, die bald nach Gründung der Zweiten Republik vor allem zu Lasten der eigentlichen Opfer des Nationalsozialismus gingen: die aus rassis(ti)schen, politischen, religiösen und anderen Gründen Verfolgten, darunter auch jene Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“, die entlang der Opferthese eigentlich das Richtige getan hatten: nämlich, sich durch ihren Ungehorsam gegen eine gewaltsame Herrschaft zur Wehr zu setzen.
Auf den Unterseiten dieses Themenschwerpunktes wird das Tehma anhand von zwei Kapiteln behandelt:
- Einer Chronik der gesellschaftlichen Rehabilitierung vor dem oben erwähnten Hintergrund
sowie