MILITÄRJUSTIZ IN ÖSTERREICH VOR 1938
Grundlage des Militärstrafrechts der Habsburgermonarchie war das Militärstrafgesetzbuch von 1855 gemeinsam mit einer Militärstrafprozessordnung aus der maria-theresianischen Ära.
Die Verfahren gegen Angehörige der k. u. k. Armee waren durch faktische Rechtlosigkeit der Angeklagten gekennzeichnet. Erst im Juli 1912 kam es zur Verabschiedung einer moderneren Militärstrafprozessordnung, in die Elemente aus dem zivilen Strafrecht einflossen, darunter die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Mit Kriegsbeginn 1914 erhielt die österreichisch-ungarische Militärjustiz eine enorme Ausweiterung ihrer Machtbefugnisse.
Delikte wie Hochverrat, Majestätsbeleidigung oder Störung der öffentlichen Ruhe wurden nun von Militärrichtern – »Auditoren« genannt – verhandelt. Die Militärjustiz der k. u. k. Armee diente auch als politisches Instrument zur Abschreckung und Ausschaltung oppositioneller Kräfte – dabei unterstanden den Gerichten auch Zivilpersonen. Gesamtzahlen zu Todesurteilen der k. u. k. Militärjustiz liegen nicht vor. Sie erfuhren aber in den Jahren 1914 bis 1918 eine enorme Ausweitung. Insgesamt wurden etwa 3 Millionen Menschen feldgerichtlich belangt – diese Zahl entspricht etwa derjenigen von Wehrmachtgerichten geführten Verfahren. Allein auf dem Territorium des späteren österreichischen Staatsgebiets belief sich von 1914 bis 1918 die Zahl der angefallenen Strafsachen auf 162.200.
Erste Republik
Die Kriegsniederlage von 1918 bedeutete das Ende der Monarchie in Deutschland wie auch in Österreich. Am 12. November 1918 wurde »Deutsch-Österreich« als demokratische Republik gegründet. Da der Friedensvertrag von St. Germain den laut Verfassung vorgesehenen Beitritt zur neuen Deutschen Republik untersagte, erfolgte am 21. Oktober 1919 die formelle Umbenennung in »Republik Österreich«. Die demokratischen Umwälzungen der Jahre 1918/1919 bereiteten auch der Militärjustiz ein Ende. Durch das Gesetz vom 15. Juli 1920 unterstanden fortan alle Heeresangehörigen der zivilen Gerichtsbarkeit. Ein weiteres Gesetz regelte die Übernahme von Angestellten der Militärjustiz in den Ziviljustizdienst. Diese Bestimmungen blieben bis 1934 gültig. Erst die austrofaschistische Diktatur führte die Militärjustiz wieder ein und etablierte einen Militärgerichtshof. Das Bundesheer selbst war schon ab den frühen 1930er Jahren immer häufiger gegen den »inneren Feind« eingesetzt worden. Dies betraf neben den terroristisch agierenden nationalsozialistischen Gruppierungen, die die Wiedereinführung der Militärjustiz de facto ausgelöst hatten, in erster Linie die Sozialdemokraten.
Auf dem Weg zum »poltischen Soldaten«
Die katholisch-faschistische Regierung unter Engelbert Dollfuß und seinem Nachfolger Kurt Schuschnigg fand in Österreich wenig Rückhalt. Zu schaffen machte der Regierung nicht nur die 1934 verbotene Sozialdemokratie, sondern vor allem die seit 1933 illegal operierende NSDAP. Ihre Agitation verschärfte sich parallel zu den politischen Entwicklungen in Deutschland: Im Jänner 1933 war Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden, die Nationalsozialisten hatten innerhalb weniger Monate den demokratischen Rechtsstaat zerschlagen. Bereits im Mai 1933 wurde die Militärgerichtsbarkeit wieder eingeführt; seit 1935 galt die allgemeine Wehrpflicht. Zum Leitbild im Deutschen Reich wurde der »politische Soldat«, der sein Leben bedingungslos für »Führer und Volk« opfert. Die Spitzen der Militärjustiz machten sich sofort daran, das Militärstrafrecht den Erfordernissen des geplanten Krieges anzupassen. Wichtige Instrumente waren dabei die seit 1933 entwickelte Kriegssonderstrafrechtsverordnung und die Kriegsstrafverfahrensordnung, in Kraft gesetzt kurz vor Kriegsbeginn 1939. Beide gaben den Militärjuristen praktisch unbegrenzte Möglichkeiten, gegen »innere und äußere Feinde« vorzugehen. Der Kreis der Personen, die als solche galten, wurde mit zunehmender Kriegsdauer immer weiter gefasst (auführliche Informationen zur Vorgeschichte der NS-Militärjustiz in Österreich finden Sie im Text von Mathias Lichtenwagner).
Der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich
Der »Anschluss« kam nicht überraschend. Schon in den ersten Monaten des Jahres 1938 hatte sich das politische Gleichgewicht immer stärker zugunsten der Nationalsozialisten verschoben. Am 11. März, zwei Tage nachdem Bundeskanzler Kurt Schuschnigg eine Volksbefragung über Österreichs Unabhängigkeit angekündigt hatte, organisierte die lokale NSDAP große Demonstrationen in allen Bundesländern und besetzte putschartig die regionalen Herrschaftszentren. Noch am Abend dieses Tages ernannte Bundespräsident Wilhelm Miklas den nationalsozialistischen Innenminister Arthur Seyß-Inquart zum Bundeskanzler. Der Einmarsch deutscher Truppen am Morgen des 12. März glich einem Triumphzug. Einen Tag später verabschiedete das Kabinett Seyß-Inquart das »Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich«, am 15. März sprach Adolf Hitler auf dem Wiener Heldenplatz zu einer jubelnden Menschenmenge. Das Bundesheer wurde unverzüglich der Deutschen Wehrmacht unterstellt. Binnen weniger Tage entließen die neuen Machthaber 14 Generäle und rund 50 Stabsoffiziere. Bis Jahresende 1938 wurden rund 18 Prozent der österreichischen Offiziere pensioniert, 1600 Mitglieder des Offizierskorps setzten jedoch ihre Karrieren in der Wehrmacht fort – es ist davon auszugehen, dass sich auf die gleiche Weise auch österreichische Juristen in den Justizapparat der Wehrmacht einfügten.
Literaturhinweise
Hautmann, Hans: Kriegsgesetze und Militärjustiz in der österreichischen Reichshälfte 1914-1918, in: Weinzierl, Erika; Stadler, Karl R. (Hg.): Justiz und Zeitgeschichte, Wien 1977, S. 101-122.
Reiter-Zatloukal, Ilse: Militärgerichtsbarkeit und Staatsordnung. Zur Geschichte einer Sondergerichtsbarkeit in Deutschland und Österreich. In: Pirker, Peter; Wenninger (Hg.): Wehrmachtsjustiz. Kontext, Praxis, Nachwirkungen, Wien 2010, S. 3-24.
Zur historischen Bewertung des Aufgehens des Bundesheeres in die Wehrmacht vgl. den Artikel von Trauttenberg/Vogl in: Österreichische Miliärische Zeitschrift, 4 (2007).