Zentralgericht des Heeres, Außenstelle Wien

Zentralgericht des Heeres, Außenstelle Wien

Über dem heutigen Amtsgebäude des Bundesheeres am Franz-Josefs-Kai 7-9 wehte bis 1945 die Reichskriegsflagge, in ihm tagte die Wiener Außenstelle des Zentralgericht des Heeres. Es war als Gericht der NS-Militärjustiz Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Inserat eines Kleiderhauses, 1932, mit Anschrift (Quelle: Lehmann)

Inserat eines Kleiderhauses, 1932, mit Anschrift (Quelle: Lehmann)

Geschichte vor 1938
Der „Industriepalast“ am Franz-Josefs-Kai 7-9 war bis in die 1930er Jahre eine weithin bekannte Adresse: eine Vielzahl an Speditionen, Reisebüros, Großhandelsfirmen, Verlage und ähnlichen Unternehmen boten dort ihre Dienste an. 1932 hatten 60 Wiener Firmen dort Niederlassungen auf rund 2000 Quadratmetern, ein Beispiel siehe nebenbei. Das für Moriz Brill erbaute Gebäude wurde 1907 fertig gestellt und verfügte sogar über einen eigenen Abgang zur damaligen Stadtbahn (heute: Linie U4).

Übernahme Wehrmachtsjustiz
Die BesitzerInnen des Gebäudes wurden 1938 enteignet, das nunmehr „arisierte“ Gebäude für Dienststellen des Dritten Reiches adaptiert. Kurzfristig bezog das in Auflösung befindliche und aus dem Stubenring ausquartierte Ministerium für Wirtschaft und Arbeit das Gebäude, 1939 folgte die Wehrmacht mit verschiedenen Dienststellen.

Ausschnitt aus einer Ansicht des Franz-Josefs-Kais, 1913; Ganz rechts im Bild der Industriepalast, links die Urania (Quelle: Wiener Linien, Bildstrecke)

Ausschnitt aus einer Ansicht des Franz-Josefs-Kais, 1913; Ganz rechts im Bild der Industriepalast, links die Urania (Quelle: Wiener Linien, Bildstrecke)

Gericht der Wehrmachtskommandantur Berlin, Außenstelle Wien
Es handelte sich dabei um ein Gericht mit besonderer Zuständigkeit innerhalb der Wehrmachtsjustiz. Es war kein Höchstgericht, manche grundsätzlichen Entscheidungen aber für andere Gerichte bindend. Es wurde 1934 unter der Bezeichnung „Gericht der  Wehrmachtskommandantur Berlin“ gegründet, seit 1938 besaß es seine einzige Außenstelle in Wien. Es ist strikt vom Gericht der  Wehrmachtskommandantur Wien zu unterscheiden.
Das Gericht der Wehrmachtskommandantur Berlin war ua. zuständig für alle im Ersatzheer anfallenden Fälle von Wehrkraftzersetzung (mit Ausnahmen, etwa Selbstverstümmelung), Verstößen gegen das „Heimtückegesetz“, politischen Strafsachen, Homosexualität sowie alle Fahnenflüchtigen, die nach drei Monaten Fahndung nicht gestellt  wurden.

Über 100 Richter waren in Berlin und Wien an diesem Gericht tätig und führten rund 46.000 Verfahren. Die Zuständigkeit dieses Wiener Gerichts reichte weit in den von der Wehrmacht besetzten Osten und Süden und Westen, hier wurden Verfahren aus Griechenland, Rumänien und Frankreich verhandelt. Die Verhafteten wurden dabei nur selten dem Gericht selbst vorgeführt, meist das Urteil dem Soldaten nur verlesen und vor Ort exekutiert.

Briefkopf des Gerichts der Wehrmachtskommandantur Berlin, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 2.Februar 1944 (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Gerichts der Wehrmachtskommandantur Berlin, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 2.Februar 1944 (Quelle: DÖW)

Zentralgericht des Heeres, Außenstelle Wien
Im Frühjahr 1944 wurde das Zentralgericht des Heeres gegründet  und übernahm die allermeisten Agenden des Gerichts der Wehrmachtskommandantur Berlin. Auch die Außenstelle Wien ging in diese neuen Strukturen über. Die Größe des Gerichts blieb dabei im Wesentlichen gleich, ebenso die Anzahl der Verfahren. 1945  dürften Teile des Zentralgerichts des Heeres in die Hohenstaufengasse 3 übersiedelt sein, möglicherweise wegen Platzmangel oder Schäden am Gebäude.

Briefkopf des Zentralgerichts des Heeres, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 4.Juni 1944 (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Zentralgerichts des Heeres, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 4.Juni 1944 (Quelle: DÖW)

Kommandantur der Wehrmachtsstreife
Die Wehrmachtsstreife war im Wesentlichen für Fahndung nach und Festnahme von verdächtigen Soldaten zuständig. Ihr Zentrum bildete die nahegelegene Rossauerkaserne, wohin die Festgenommenen gebracht wurden und wo Verhöre und Folterungen stattfanden. Übergeordnete Stellen waren die Kommandostandorte am Franz-Josefs-Kai 7-9 und  am Kohlmarkt 8-10. Gestapo, Schutzpolizei und Wehrmachtsstreife unterstützten einander bei der Fahndung nach Verdächtigen stark, tauschten Informationen aus und bedienten sich des  gleichen Netzwerks aus InformantInnen- und DenunziantInnen. Sie überstellten sich Verhaftete, die in die jeweils anderen Zuständigkeitsbereiche fielen. Entlang des Donaukanals konzentrierten sich diese Institutionen auch räumlich:  Die Gestapo-Zentrale am Morzinplatz lag nur 400 Meter von der Kommandantur der Wehrmachtsstreife entfernt, wenige hundert Meter flussaufwärts folgten die Rossauerkaserne als Verhör- und Folterort sowie  das Polizeigefängnis Rossauerlände, das alle drei nutzten.

Eingang des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Eingang des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Frontansicht des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Frontansicht des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Nach 1945
Das Gebäude wurde bei der Befreiung leicht beschädigt. Es fiel der Republik Österreich zu, obwohl es vor der „Arisierung“ gar nicht staatlichen Stellen diente. Gleich nach 1945 nutzte die Vorgänger-Institutionen des Bundesheeres und teils auch andere Einrichtungen der öffentlichen Hand das Gebäude. Erst Anfang 1955 wurde das Gebäude formal den enteigneten BesitzerInnen restituiert und daraufhin für das Verteidigungsministerium zurückgekauft. Ab 1957 wurde das Gebäude renoviert und modernisiert, damals erhielt es auch die schmucklose, grau-braune Fassade. Seither dient es dem Verteidigungsministerium als „Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai“, zeitweise auch als Sitz des Ministers.

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Aktuelle Artikel

Gedenktafel-Enthüllung Concordiaplatz, 29. August 2024

Am 29. August 2024 wurde vom Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, eine Gedenktafel am Gebäude Concordiaplatz 1, 1010 Wien enthüllt, die auf die NS-Geschichte des Gebäudes hinweist.

Im Rahmen der feierlichen Enthüllung sprachen neben dem Bundesminister, die Abgeordnete zum Nationalrat Mag.a Eva Blimlinger, Mag. Mathias Lichtenwagner als Vertreter des Personenkomitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ und Magdalena Bauer, MA vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW).

Das Ensemble der Gardemusik Wien spielte das Moorsoldatenlied.

Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) schickte dazu eine OTS aus.

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