Abschreckung – Vergeltung – Erziehung
Die nationalsozialistische Führung begann unmittelbar nach ihrem Machtantritt 1933 mit Planungen für einen neuen Krieg. Die wieder eingeführte Militärjustiz sollte dabei eine wichtige Rolle spielen: als Mittel zur Erringung des künftigen Sieges. Die Wehrmachtgerichtsbarkeit hatte dabei die komplexe Aufgabe, durch harte Urteile einerseits möglichst viele Soldaten davor abzuschrecken, straffällig zu werden, andererseits durfte die Spruchpraxis der Gerichte die Truppe nicht zu sehr schwächen. Für die Erreichung beider Ziele waren Strafvollstreckung und Strafvollzug von entscheidender Bedeutung.
Fahnenflucht, »Wehrkraftzersetzung« oder »Kriegsverrat« bildeten nur einen geringen Teil der von Wehrmachtgerichten während des Krieges abgeurteilten Straftaten – auch wenn dafür die überwiegende Zahl aller Todesurteile verhängt wurde. Von den insgesamt rund drei Millionen Urteilssprüchen entfielen die meisten auf »unerlaubte Entfernung«, Ungehorsam, Diebstahl und andere kleinere Vergehen. Die Strafen hierfür bewegten sich durchschnittlich zwischen drei Monaten und einem Jahr Gefängnis; je nach Richter, »Täterpersönlichkeit« des Angeklagten, Kriegsschauplatz oder Frontsituation fielen die Urteile höher oder niedriger aus, oder sie wurden sogar disziplinarisch, also ohne Gerichtsverhandlung, erledigt.
Je länger der Krieg dauerte, desto tödlicher wurde jedoch die Gefahr, die auch kürzere Freiheitsstrafen für die Verurteilten bedeuten konnten. Die Truppenführung bereitete die Soldaten bereits in der Grundausbildung darauf vor, dass die kleinste Abweichung von der Norm härteste Formen des Strafvollzugs nach sich ziehen konnte. Abschreckung war hier oberstes Gebot. Entsprechend findet sich in den Kriegsgerichtsakten eine eigene Kategorie von Fluchtmotiven: die Furcht vor Bestrafung.
Kriegsgerichtlich verurteilte Soldaten durchliefen ein komplexes Strafsystem, gekennzeichnet von »harter Sühne«, »Bewährung« und »Erziehung«, so die zeitgenössischen Begriffe. In den unterschiedlichen Straflagern, Gefängnissen oder im Strafvollzug als Kriegseinsatz waren die Lebensbedingungen durch unerbittliche Härte gekennzeichnet: Mangelernährung, unzureichende Kleidung und medizinische Versorgung, praktisch schrankenlose Gewaltanwendung und besonders gefährliche Einsätze an den Fronten. All dies war auch Ausdruck eines NS-Menschenbildes, das ungehorsame Soldaten als »minderwertig« kategorisierte. Zugleich existierte der Gedanke der »Erziehung«, der den bestraften Soldaten im Falle einer »Bewährung« die Aussicht auf Rückkehr in die »völkische Wehrgemeinschaft« verhieß. Die Chancen dafür standen aufgrund der furchtbaren Behandlung allerdings schlecht. Wie viele Soldaten in diesem Strafsystem umkamen, ist nicht bekannt; jedoch zählen auch diese Opfer nach Zehntausenden.
Wehrmachtgefängnisse und andere Haftanstalten
In den unterschiedlichen Militärhaftanstalten versuchte die militärische Führung, »unerziehbare« von »besserungsfähigen« Soldaten zu trennen und letztere für die reguläre Truppe zurückzugewinnen. Vor allem seit Beginn des verlustreichen Krieges gegen die Sowjetunion verlagerte sich der Strafvollzug von den Gefängnissen im Hinterland an die Front. Die Soldaten sollten unter verschärften Bedingungen Gelegenheit erhalten, sich vor dem Feind zu »bewähren«. Zentrale Drehscheibe des Systems der Frontbewährung war das Wehrmachtgefängnis Fort Zinna im sächsischen Torgau. Hier waren während des Krieges zwischen 60.000 und 70.000 Gefangene interniert, hier wurden Häftlinge auf ihre »Eignung für die Bewährungstruppe« überprüft und nach einer brutalen Aussonderungspraxis Bewährungs- und Feldstrafeinheiten zugewiesen, oder »unverbesserliche Wehrmachtschädlinge« an Konzentrationslager überstellt. Wien war einer der wichtigsten Truppenstandorte im Reichsgebiet. Es gab hier gleich mehrere sogenannte Wehrmachtuntersuchungsgefängnisse, in denen Soldaten ihre Strafe verbüßten, auf ihre Verfahren, die Urteilsvollstreckung oder auf einen Weitertransport zu anderen Haftorten warteten. Der Strafvollzug in der »Ostmark« ist noch unerforscht.
Dokumente zu Wehrmachtgefängnisse und andere Haftanstalten
Links im Bild sind die Seydlitz- sowie die Ziethenkaserne zu erkennen. Letztere war von August 1943 bis April 1945 Sitz des Reichskriegsgerichts, des höchsten Militärgerichts der Wehrmacht.
Fallbeispiel Wien: Das Wehrmachtuntersuchungsgefängnis X (Favoriten)
Haftbedingungen: O-Ton Theresa Piniarska über Militärstrafgefangene im Wehrmachtgefängnis Glatz
Quelle: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Die Emslandlager
Zwischen 1933 und 1938 ließ das NS-Regime im Emsland, im äußersten Nordwesten des Reiches, 15 Lager errichten, in denen Häftlinge und Kriegsgefangene aus ganz Europa festgehalten wurden. Seit Kriegsbeginn internierte das Reichsjustizministerium in den sechs nördlichen Lagern vermehrt ehemalige deutsche Soldaten. Sie waren für »wehrunwürdig« erklärt und aus der Wehrmacht ausgeschlossen worden. Sie galten als »verwahrt«, das heißt, die dort verbrachte Haftdauer wurde nicht auf die eigentliche Strafzeit angerechnet; diese sollte erst nach Kriegsende beginnen. Insgesamt saßen in den Lagern Esterwegen, Brual-Rhede, Börgermoor, Aschendorfermoor, Walchum und Neusustrum zwischen 25.000 und 30.000 kriegsgerichtlich Verurteilte ein. Mindestens 780 von ihnen starben hier während des Krieges an Hunger, Krankheiten und Misshandlung, wurden »auf der Flucht erschossen« oder hingerichtet. Die Wehrmachtjustiz überstellte 5.000 bis 6.000 Häftlinge in das Torgauer Wehrmachtgefängnis Fort Zinna, wo über ihren weiteren Weg durch den Strafvollzug entschieden wurde.
Dokumente zu Die Emslandlager
Bei den Häftlingen handelte es sich vor allem um Gefangene, die Strafen wegen »Fahnenflucht« oder »Wehrkraftzersetzung« verbüßten. Die Haftbedingungen waren geprägt von mörderischer Arbeit im Moor, unzureichender Ernährung und Bekleidung sowie Demütigungen und Misshandlungen seitens der Wachmannschaften.
Gemeinsam mit anderen Häftlingen verrichteten ehemalige Soldaten schwerste Arbeiten zur Kultivierung des Moorbodens. Der Lageralltag war geprägt von Hunger, Gewalt und Tod.
Haftbedingungen: Ausschnitt Filminterview mit Daniel Holzer über seine Haft im Lager Börgermoor (Timecode: ab 4:51 Min).
Haftbedingungen: O-Ton des Deserteurs und Straflagerhäftlings Horst Schluckner in Esterwegen, Emsland.
Quelle: Fietje Ausländer (Hg.): Verräter oder Vorbilder, Bremen 1990, S. 14-40; ursprünglich abgedruckt in, Horst Schluckner: »Überlebende«, Berlin (Ost) 1956.
Das Moorsoldatenlied (Text: Johann Esser, Wolfgang Langhoff; Musik: Rudi Goguel).
Quelle: Youtube
Hinrichtungsstätten
Die meisten Todesurteile ließ die Wehrmachtjustiz gegen Deserteure und »Wehrkraftzersetzer« vollstrecken, in der Regel durch Erschießen. Im Verlauf des Krieges überstellten die deutschen Militärgerichte zum Tode verurteilte Soldaten außerdem in die Richtstätten der Reichsjustizverwaltung. Dabei handelte es sich in der Regel um Zuchthäuser. Dort wurden die meisten Verurteilten geköpft, einige auch erhängt. Diese Hinrichtungsarten galten als besonders »entehrend«. Die Henker des Reichsjustizministeriums töteten während des Krieges zwischen 1.500 und 2.000 kriegsgerichtlich verurteilte Wehrmachtsangehörige. Nicht zu ermitteln ist die Zahl der Opfer von Standgerichten in der Endphase des Krieges; dies gilt ebenso für die Soldaten und Zivilisten, die in den letzten Monaten vor der Kapitulation ohne jedes Verfahren erschossen oder gehängt wurden.
Dokumente zu Hinrichtungsstätten
Hier und an mehreren anderen Orten rund um die Festungsanlagen ließ die Wehrmachtjustiz mindestens 197 kriegsgerichtlich verurteilte Häftlinge töten.
Huth war Teil eines Wiener Widerstandsnetzwerks. Am 6. April wurde er verhaftet, von einem Wehrmachtgericht zunächst freigesprochen, allerdings wenig später durch ein SS-Standgericht zum Tode verurteilt und am 8. April am Floridsdorfer Spitz in Wien öffentlich erhängt.
Näheres zum Widerstandskreis um die Wehrmachtsoffiziere Karl Biedermann, Alfred Huth u.a.
In den Hafträumen im Landesgerichts waren ab 1938 auch Soldaten interniert. Seit 1943 wurden hier militärgerichtlich Verurteilte getötet. Dabei handelte es sich zumeist um solche Personen, die politische Delikte begangen hatten (»Wehrkraftzersetzung«, »Kriegsverrat« usw.). Exekutionen fanden durch Erhängen und das Fallbeil statt. Ein 1951 eingerichteter Gedenkraum nennt auch die Namen zwanzig hingerichteter Wehrmachtsangehöriger.
Hier wurden zwischen 1940 und 1945 mindestens 129 Menschen zumeist nach militärgerichtlichen Urteilen erschossen. Am 5. November 1984 weihte die Stadt Wien und das Ministerium für Landesverteidigung ein Erinnerungszeichen für die Erschossenen ein. Seit 2002 veranstaltet das Personenkomitee »Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz« hier alljährlich am 26. Oktober eine Gedenkfeier.
Protokoll der Hinrichtung von 14 »Wehrkraftzersetzern« durch das Gericht der Division 177 in Wien-Kagran, 7. Februar 1945.
Bewährungseinheiten 500
In der sogenannten Bewährungstruppe 500 kämpften seit April 1941 wehrmachtgerichtlich verurteilte Soldaten an »besonders gefährlichen Abschnitten der Front«, wo sie sich durch »außergewöhnliche Tapferkeit« bewähren sollten. Gelang dies, wurde ihnen Strafmilderung oder sogar Straferlass in Aussicht gestellt; ansonsten drohte die Vollstreckung der ursprünglich verhängten Strafen. Bei den 500er-Bataillonen dienten während des Krieges rund 27.000 »Bewährungsmänner«, überwacht und befehligt durch besonders ausgesuchte Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften aus der regulären Truppe. Fachlich qualifiziertes Führungspersonal auf der einen Seite, Bewährungsdruck und zum Teil vorhandener »Bewährungswille« auf der anderen Seite machten die Bataillone zu kampfstarken Einheiten. Doch auch die Verluste waren außerordentlich hoch. Nach durchschnittlich sechs Monaten war ein Bataillon von gut 1.000 Mann »aufgerieben«, d.h. seine Männer gefallen, vermisst oder verwundet. Die Existenz von Bewährungsbataillonen sollte die gehorsamen Soldaten von jeder Form der Verweigerung abschrecken.
Dokumente zu Bewährungseinheiten 500
Ein ehemaliger Regimentskommandeur veröffentlichte die Aufnahmen gefallener Strafsoldaten in einer Erinnerungsschrift. Er berichtet darin von verheerenden Verlusten bei der Bewährungstruppe 500.
Die Aufstellung verdeutlicht die enormen Verluste des Bataillons in den Kämpfen in der Gegend von Smolensk. Alle im Dokument aufgeführten Soldaten starben am 22. März 1942 als das Bataillon an einem Tag die Hälfte seiner »Gefechtsstärke« verlor.
Die Bewährungstruppe 999
Die Strafeinheit 999 wurde in der Regel aus Männern gebildet, die zuvor keinen Wehrdienst geleistet hatten, weil sie als »wehrunwürdig« galten – vor allem Zivilisten, Gefängnis-, Zuchthaus- und KZ-Häftlinge. Zu Beginn des vierten Kriegsjahres benötigte die Wehrmacht allerdings jeden verfügbaren Mann. Auch den Eingezogenen der Bewährungstruppe 999 stellte die Wehrmachtführung in Aussicht, durch »vorbildlich tapferen Einsatz als Soldaten vor dem Feinde den Schandfleck auf ihrer Ehre zu tilgen und dadurch wieder vollwertige Soldaten und Staatsbürger zu werden«. Auch hier drohten bei Nichtbewährung die Rückführung in den Strafvollzug ohne Strafzeitanrechnung für die Dauer des Krieges oder eine Einweisung in ein Konzentrationslager. Knapp ein Drittel der rund 28.000 Bewährungssoldaten der 999er bestand aus »Politischen«, zumeist Kommunisten oder Sozialdemokraten; die anderen waren als »Kriminelle« eingestuft. Die Einheiten dienten vor allem in Afrika und auf dem Balkan. Gerade von den »politischen« Bewährungssoldaten liefen einige Hundert über und leisteten Widerstand gegen die deutsche Besatzungsherrschaft.
Dokumente zu Die Bewährungstruppe 999
Die Zeremonie fand in »besonders feierlicher Form« statt. Den Bewährungssoldaten sollte verdeutlicht werden, dass ihnen »vom Führer in hochherziger Weise die einmalige Gelegenheit gegeben würde«, durch »mutigen Einsatz vor dem Feinde […] ihre Ehre wiederherzustellen«.
Die Feldstrafeinheiten
In Feldstrafgefangenen-Abteilungen und Feldstraflagern herrschten die härtesten Haftbedingungen. Wer seit Frühjahr 1942 zu mehr als drei Monaten Gefängnis verurteilt worden war, den überstellten die Wehrmachtgerichte häufig nicht mehr an ortsfeste Haftanstalten, sondern an die mobilen Feldstrafgefangenen-Abteilungen. Den Dienst leisteten die Gefangenen in der Regel unbewaffnet, bei unzureichender Ernährung und schärfstem Drill, meist an der Ostfront. Der Alltag war geprägt durch »härteste Arbeiten unter gefahrvollen Umständen«, Bunker- und Stellungsbau, Minenräumen sowie die Bergung von Leichen. Insgesamt waren über 50.000 Soldaten zum Dienst in diesen Einheiten gezwungen. In Feldstraflager überstellten die Gerichte solche Soldaten, die sie zu »unverbesserlichen Wehrmachtschädlingen« oder »Trägern wehrfeindlichen Geistes« erklärt, oder die sich in den Feldstrafgefangenen-Abteilungen nicht »gebessert« hatten. In den Feldstraflagern sollten die Bedingungen noch härter sein. 4.000 bis 5.000 Soldaten haben diese zwischen Mai 1942 und Kriegsende durchlaufen; über ihr genaues Schicksal ist aufgrund der schlechten Quellenlage wenig bekannt.
Dokumente zu Die Feldstrafeinheiten
Ab Juni 1942 wurden die bis dahin eingerichteten Feldstraflager I und II mit Schiffen nach Jakobstaad/Pietarsaari (Finnland) verlegt. Die Transporte umfassten etwa 1.200 Straflagerverwahrte. Sie wurden zum Bau militärischer Küstenbefestigungen, später auch zur Instandhaltung von Nachschubverbindungen eingesetzt. Nur wenige der Häftlinge überlebten diese Einsätze.
Die angegebene Todesursache zeigt deutlich, wie sehr die Feldstrafgefangenen unter Hunger gelitten haben.
Der Vordruck sieht die regelmäßig wiederkehrende Todesursache »Erschießung auf der Flucht« vor (hier erkennbar daran, dass der vorgedruckte Text mit schwarzem Stift durchgestrichen wurde). Die im Falle Wilhelm Schrömbges angegebene Todesursache findet sich ebenfalls häufig und zeugt von Hunger und gnadenloser Ausbeutung der Arbeitskraft der Straflagerverwahrten.
Haftbedingungen: Feldstrafgefangenenabteilung XVII: O-Ton Karl Baumann über Militärstrafgefangene an der Ostfront, 1943 (Audio-File).
Quelle: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Haftbedingungen Feldstrafgefangenenabteilung XVII: O-Ton Karl Baumann über Militärstrafgefangene an der Ostfront, 1942 (Audio-File).
Quelle: Robert Stein: Vom Wehrmachtstraflager zur Zwangsarbeit bei Daimler-Benz, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Band 2, Heft 4 (1987)
Wege der Strafvollstreckung: Fallbeispiele
Tod im Konzentrationslager
Karl Rupitsch (1910-1944)
Der aus Goldegg im Salzburger Land stammende Landwirt Karl Rupitsch war zunächst wegen einer Knieverletzung vom Wehrdienst zurückgestellt worden, bevor er 1943 erneut einen Einberufungsbescheid bekam. Als Regimegegner leistete er diesem keine Folge und versteckte sich seit dem Winter 1943/1944 bei Freunden auf umliegenden Bauernhöfen und Almen. Nachdem weitere Soldaten aus der Region im vorletzten Kriegsjahr nicht mehr zu ihren Einheiten zurückkehrten, beschloss die NS-Führung die fahnenflüchtigen Soldaten mittels einer Großrazzia zu ergreifen. Rund 1.000 SS-Soldaten und 60 Gestapobeamte durchkämmten am 2. Juli 1944 das Gebiet um Goldegg und verhafteten neben Karl Rupitsch weitere rund 50 Personen, die eine Gruppe von sechs Deserteuren unterstützt hatten. Drei Personen wurden bei der Razzia getötet, drei der Deserteure entkamen, zwei von ihnen wurden später verhaftet und nur einer überlebte den Krieg in einem entlegenen Tal. Karl Rupitsch und mit ihm viele andere wurden in Zuchthäuser und Konzentrationslager verschleppt. Er selbst wurde am 28. Oktober 1944 gemeinsam mit dreien seiner Freunde im KZ Mauthausen ermordet. Nachdem Angehörige bereits kurz nach Kriegsende ein Erinnerungszeichen für ihre zwei getöteten Söhne in der Nähe des Böndlsees anbrachten, dauerte es bis zum 8. August 2014 bis ein Gedenkstein für die Opfer errichtete werden konnte. Er steht auf dem Gelände des Regenerationszentrums in Goldegg. Die Initiative dazu ging von Brigitte Höfert aus, der Tochter Karl Rupitschs.
Dokumente zur Fallgeschichte Karl Rupitsch
Von rechts: Karl Rupitsch (mit Kuh), Karls Vater Johann Rupitsch, Hiasi, der Ziehsohn der Familie, Karls Mutter Anna Rupitsch und das uneheliche Kind Engelbert Portenkirchner
Der Name befindet sich in der vierten Zeile von oben (hier falsch geschrieben). Karl Rupitsch wurde am 28. Oktober 1944 »auf Befehl des R[eich]-F[ührers]-SS erhängt«.
Adalbert von Springer (1896-1943)
Enthauptung im Zuchthaus Halle/Saale
Am 7. Juli 1943 verurteilte der 2. Senat des Reichskriegsgerichts den Stabsarzt der Reserve Dr. Adalbert von Springer zum Tode. Ihm wurde unter anderem »Kriegsverrat« und »Wehrkraftzersetzung« vorgeworfen. Reichskriegsgerichtsrat Werner Lueben stellte im Urteil fest, von Springer habe die »Sicherheit des Reiches« gefährdet.
Nach seinem Abitur 1914 begann der 1896 in Galizien geborene von Springer in Wien ein Medizinstudium und meldete sich ein Jahr später freiwillig zum Kriegsdienst in der österreichischen Armee. Nach dem Ersten Weltkrieg schloss er sein Studium ab und ließ sich in Wien als Facharzt für Frauenheilkunde nieder. Kurz vor Kriegsbeginn wurde er zur Wehrmacht eingezogen. 1943 verhaftete ihn die Geheime Staatspolizei (Gestapo), da er für die verbotene Kommunistische Partei Österreichs Flugblätter gegen das NS-Regime und gegen den Krieg verfasst hatte.
An Adalbert von Springer wurde das Todesurteil am 17. September 1943 in Halle/Saale durch Enthaupten vollstreckt. Diese Hinrichtungsart in einem Zuchthaus des Reichsjustizministeriums wählten die NS-Gerichte in der Regel für Verurteilte, die (angeblich) Kriegs- oder Landesverrat begangen hatten. Als »Kriegsverrat« galt ein Landesverrat, der »im Felde«, also von Angehörigen der Wehrmacht während des Krieges, begangen wurde.
Dokumente zur Fallgeschichte Adalbert von Springer
Der Stabsarzt Adalbert von Springer engagierte sich politisch aktiv gegen den Nationalsozialismus. Laut Urteil war er in den 1920er und 1930er Jahren Mitglied der sozialdemokratischen Partei Österreichs und zahlte außerdem Beiträge an die »Rote Hilfe«, eine Organisation der damals illegalen Kommunistischen Partei Österreichs. Das Todesurteil zitiert vier Flugblätter, die von Springer zugeschrieben werden; darin werden das NS-Regime und der von diesem begonnene Krieg scharf verurteilt.
Adalbert von Springer starb am 17. September um 17 Uhr.
62 Jahre nach dem Todesurteil ehrte die Republik Österreich Adalbert von Springer für sein mutiges Eintreten gegen den NS-Terror. Es dauerte noch bis zum Jahr 2009 bis alle Unrechtsurteile der NS-Militärjustiz pauschal aufgehoben wurden.
Weiterführend:
Bericht von Otto Langels in Deutschlandradio Kultur über “Deserteure, ‘Wehrkraftzersetzer’ und ‘Kriegsverräter'”, 20. August 2008
Wikipedia-Eintrag zu Adalbert von Springer
Artikel von Wolfram Wette (“Die Verratenen) in Die Zeit, 24. April 2008
Johann Zöhrer (1923-1997)
Fahnenflucht aus Angst vor Bestrafung und einem mörderischen Strafvollzug
Im Juli 1944 verließ der Unteroffiziersanwärter Johann Zöhrer seine Einheit, die zu dieser Zeit im Norden Finnlands stationiert war. Der 1923 in einem Dorf bei Deutschlandlandsberg in der Steiermark geborene Arbeiter fürchtete eine Anklage wegen eines Kameradendiebstahls; der brutale Vollzug solcher Strafen, die in der Regel mit mehreren Monaten Gefängnis geahndet wurden, flößte Zöhrer solche Furcht ein, dass er lieber ein für Fahnenflucht drohendes Todesurteil in Kauf nahm. Er plante, sich über die nahe gelegene Grenze ins neutrale Schweden abzusetzen, wurde jedoch vier Tage nach seiner Entziehung im grenznahen Tornio aufgegriffen und verhaftet. Das Gericht sah es in der Verhandlung vom 2. August zwar als erwiesen an, dass Zöhrer desertiert war, verhängte die sonst übliche Todesstrafe jedoch nicht. Oberstabsrichter Müller vom Gericht der 2. Gebirgsjägerdivision hielt dem Angeklagten zugute, er habe nicht aus Furcht vor persönlicher Gefahr und auch nicht aus »wehrfeindlicher Gesinnung« gehandelt. Zöhrer könne »in einem scharfen Strafvollzug ohne weiteres noch zu einem brauchbaren Soldaten erzogen werden«. Der Oberbefehlshaber der 20. Gebirgsarmee verfügte, dass die im Kontext mit der Zuchthausstrafe ausgesprochene Aberkennung der Wehrwürdigkeit aufgehoben und Zöhrer die Möglichkeit gegeben werde, sich in einer Feldstrafgefangenenabteilung zu »bewähren«. Johann Zöhrer konnte den Krieg überleben und starb 1997 in Deutschlandsberg.
Dokumente zur Fallgeschichte Johann Zöhrer
Wie zu dieser Phase des Krieges üblich, sollten Gefängnis- oder Zuchthausstrafen nicht in festen Hafteinrichtungen vollstreckt werden, sondern in den mobilen Strafeinheiten der Wehrmacht, hier eine Feldstrafgefangenenabteilung. Über den weiteren Weg durch die Haft Johann Zöhrers ist nichts weiter bekannt.
Franz Mattersberger (1913-1943)
Dem Verfahren ausgeliefert
Eine regelrechte Odyssee durch verschiedene militärische und zivile Hafteinrichtungen durchlief der u.a. wegen Fahnenflucht angeklagte Tiroler Franz Mattersberger. Der 29-jährige Soldat verbüßte im Herbst 1942 eine Strafe in einer Wehrmachtgefangenen-Abteilung in Vorarlberg. Vermutlich aus Heimweh floh er von dort und schlug sich zu seiner Familie nach Osttirol durch. Unterwegs beging er einen Einbruchdiebstahl, um an zivile Kleidung, Lebensmittel und Geld zu gelangen. In Lienz wurde er festgenommen. Innerhalb weniger Monate fanden drei Prozesse gegen ihn statt. Zweimal verhängten die Richter langjährige Zuchthausstrafen; die Urteile wurden jedoch nicht bestätigt. Im dritten Verfahren lautete das Urteil auf Tod. Franz Mattersberger starb im Mai 1943 unter dem Fallbeil des Zuchthauses Brandenburg-Görden.
Dokumente zur Fallgeschichte Franz Mattersberger
Franz Mattersberger war es nach seiner Festnahme zweimal gelungen, aus der Haft zu fliehen. Nach der Überstellung in das Wehrmachtgefängnis Freiburg denunzierte ihn ein Mithäftling weil er ständig NS-kritische »politische Gespräche« geführt habe.
Nachdem ihn das Gericht der »Wehrmachtkommandantur Befestigungen Oberrhein« wegen Fahnenflucht und schweren Diebstahls zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt hatte, ordnete es seine Einweisung in eine »Heil- und Pflegeanstalt« an. Das Gericht sah es aufgrund eines ärztlichen Gutachtens und des Auftretens von Franz Mattersberger während des Prozesses als erwiesen an, dass er »infolge Schwachsinns mittleren Grades« in seiner Zurechnungsfähigkeit erheblich beschränkt sei.
Kriegsgerichtsrat Leidig schien »im Hinblick auf die durchaus asoziale Persönlichkeit des Angeklagten« die Todesstrafe geboten. Er empfahl dem Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm, bei dem die letzte Entscheidung lag, das Urteil aufzuheben. Fromm folgte der Empfehlung.
Nach Aufhebung des Urteils verhandelte das Gericht in anderer Zusammensetzung am 11. Februar 1943 ein zweites Mal. Die vom Befehlshaber des Ersatzheeres geforderte Todesstrafe verhängte es jedoch nicht. Daraufhin überstellte das Gericht in Baden Baden Mattersberger in das Berliner Wehrmachtgefängnis in der Lehrterstraße. Dort wartete er auf ein drittes Verfahren.
Im dritten Verfahren rechnete das Gericht der Wehrmachtkommandantur Berlin Franz Mattersberger seine (angeblich) verminderte Zurechnungsfähigkeit nun nicht mehr als Strafmilderungsgrund an, sondern umgekehrt als zusätzliches Belastungsmoment.
Franz Mattersbergers letzter Wunsch lautete: »Ich möchte noch etwas zu rauchen haben.« Dem Protokoll zufolge betrat er »ohne Widerstreben« die Richtstätte. Seine Haltung war »gefestigt«. Die Gefängnisbeamten maßen sieben Sekunden zwischen der Übergabe an den Scharfrichter und der Vollstreckung auf dem Schaffott. Der Leichnam von Franz Mattersberger wurde, wie es häufig gehandhabt wurde, dem Anatomisch-Biologischen Institut der Berliner Universität übergeben.
Franz Scheider (1913-1944)
“Kriegsverrat” und Hinrichtung bei der Bewährungstruppe 999
Der Maschineningenieur Franz Scheider gehörte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 zum kommunistischen Untergrund in München. Drei Jahre lang wurde er deshalb im Konzentrationslager Dachau und in Zuchthäusern festgehalten. Er galt fortan als »wehrunwürdig«. Ab 1942 musste er in der sogenannten Bewährungstruppe 999 dienen. Als Besatzungssoldat in Griechenland gehörte er zu einer Widerstandsgruppe, die Kontakt zu dortigen Partisanen aufbaute. Nach der Denunziation durch einen Kameraden wurde Franz Scheider wegen »Kriegsverrats« zum Tode verurteilt und im Juni 1944 hingerichtet.
Dokumente zur Fallgeschichte Franz Scheider
Das Paar heiratete 1939. Auch Dora Scheider hatte bis 1933 dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands angehört. Nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, organisierte Franz Scheider u.a. den illegalen Druck des KPD-Blattes »Neue Zeitung«.
Oppositionell gesinnte Soldaten konnten angesichts der Überwachung durch das Stammpersonal der Einheit nur unter großen Schwierigkeiten politische Kontakte knüpfen. Eine Gefahr drohte auch durch die Bespitzelung insbesondere kriminell Vorbestrafter, die rund zwei Drittel der Bewährungssoldaten ausmachten.
Gegen die brutale deutsche Besatzungspolitik setzten sich einheimische Partisanen zu Wehr. Auch um die Zivilbevölkerung vor deutschen »Sühnemaßnahmen« zu schützen, knüpfte Franz Scheider Kontakte zur Widerstandsbewegung.
Zentraler Anklagepunkt war die Verbreitung eines Flugblattes, in dem deutsche Soldaten aufgefordert wurden, zu den Partisanen überzulaufen. Im Fall Franz Scheiders und zweier anderer kommunistisch gesinnter Angeklagter lautete die Urteilsbegründung auf »Kriegsverrat« und »Wehrkraftzersetzung« bzw. »Nichtanzeigen eines Kriegsverrats«. Am 9. Juni 1944 wurden alle Verurteilten erschossen.
Allgemeine Literaturhinweise zum Abschnitt Strafvollzug
Geldmacher, Thomas: Strafvollzug. Der Umgang der deutschen Wehrmacht mit militärgerichtlich verurteilten Soldaten. In: Manoschek, Walter (Hg.): Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis – Strafvollzug – Entschädigungspolitik in Österreich, Wien 2003, S. 420-481.
Klausch, Hans-Peter: Die Sonderabteilungen, Strafeinheiten und Bewährungstruppen der Wehrmacht. In: Kirschner, Albrecht (Hg.): Deserteure, Wehrkraftzersetzer und ihre Richter. Marburger Zwischenbilanz zur NS-Militärjustiz vor und nach 1945, Marburg 2010, S. 197-216.
Klausch, Hans-Peter: Antifaschisten in SS-Uniform. Schicksal und Widerstand der deutschen politischen KZ-Häftlinge, Zuchthaus- und Wehrmachtsstrafgefangenen in der SS-Sonderformation Dirlewanger. Bremen 1993.
Klausch, Hans-Peter: Die 999er. Von der Brigade »Z« zur Afrika-Division 999: Die Bewährungsbataillone und ihr Anteil am antifaschistischen Widerstand. Frankfurt a.M. 1986.
Klausch, Hans-Peter: Die Bewährungstruppe 500. Stellung und Funkton der Bewährungstruppe 500 im System von NS-Wehrrecht, NS-Militärjustiz und Wehrmachtstrafvollzug. Bremen 1995.
Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmachtjustiz 1933-1945, Paderborn 2005.
Wachsmann, Nikolaus: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2004.
Wüllner, Fritz: Wehrmacht «Strafvollzug” im Dritten Reich. Zur zentralen Rolle der Wehrmachtgefänginsse in Torgau. In: Haase, Norbert; Oleschinski, Brigitte (Hg.): Das Torgau-Tabu. Wehrmachtsstrafsystem – NKWD-Speziallager – DDR-Strafvollzug, Leipzig 1993. S. 29-44.