Gericht der Division 177, Standort Stubenring

Gericht der Division 177, Standort Stubenring

Im ehem. Kriegsministerium (heutiges Regierungsgebäude) am Stubenring 1, befanden sich 1938 bis 1945 eine ganze Reihe von für die Etablierung der Wehrmachtsjustiz wichtige Stellen und Gerichte. In diesem Gebäude wurde das Netzwerk der NS-Militärjustiz in Österreich und Wien aufgebaut und über sieben Jahre lang betrieben.

Die deutsche Wehrmacht bezieht im März 1938 das ehemalige Kriegsministerium am Stubenring (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

Die deutsche Wehrmacht bezieht im März 1938 das ehemalige Kriegsministerium am Stubenring (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

 
Geschichte vor 1938
Das Gebäude wurde 1913 als k.u.k. Reichskriegsministerium errichtet und blieb auch nach der Ausrufung der Republik im Herbst 1918 in militärischer Verwendung. Als „Liquidierendes Kriegsministerium“ war es für die Demobilisierung der k.u.k. Armee und danach als „Staatsamt für Heereswesen“ für den Aufbau des Bundesheers der Ersten Republik verantwortlich. Im Jahr 1924 nahm die Radio-Verkehrs AG (kurz RAVAG), die erste österreichische Rundfunkgesellschaft, ihren Betrieb auf. Während des Austrofaschismus stand der Stubenring 1 einige Male im Brennpunkt österreichischer Politik, unter anderem wurde hier Kurt Schuschnigg zum Nachfolger des ermordeten Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß ernannt.
 
Nach dem „Anschluss“
Mit 1. April 1938 zogen das Generalkommando des XVII. Armeekorps (A.K.) und die Kommandantur des Wehrkreises XVII mit ihren jeweiligen Stäben und Abteilungen – darunter das Gericht des XVII. A.K. – in das ehemalige Kriegsministerium ein. Die Juristen am Stubenring etablierten in kurzer Zeit eine politisch willfährige Justiz und schworen Richter, Justizbeamte und Offiziere auf die kommenden Eroberungskriege und den Vollzug der neuen Rechtsordnung ein.
 
Briefkopf des Gerichts der Division 177, Standort Stubenring (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Gerichts der Division 177, Standort Stubenring (Quelle: DÖW)

Aufbau der NS-Militärjustiz
In Österreich standen 18 Monate zur Verfügung, um eine Militärjustiz zu etablieren und diese entsprechend auf die Kriegserfordernisse vorzubereiten. Das Gericht des XVII. A.K. trug dabei die Hauptverantwortung. Die Berufungsinstanz wurde zweckentfremdet und in ein Konditionierungs- und Radikalisierungsinstrument umgebaut.
 
Nach Kriegsbeginn im September 1939 wurde das Gericht der Division 177 am Stubenring 1 etabliert. Außerdem hatten der Oberstkriegsgerichtsrat des Dienstaufsichtsbezirks 4 im Gebäude seinen Dienstort, weiters der Sachbearbeiters für den Reichkriegsanwalt und die Korps- bzw. Divisions-Stab und -Kommandantur in ihrer Funktion als Gerichsherren.
 
Der Platzbedarf des Gerichtes der Division 177 war mit Sicherheit hoch, da es erstinstanzlich urteilte und daher auch alle weiteren Verfahrensschritte – bis hin zur Korrespondenz mit Wehrmachtgefängnissen und Feldstrafgefangenenabteilungen über den Strafvollzug – zu überwachen hatte. Es ist anzunehmen, dass die Einrichtung eines zweiten Gerichtsstandortes am Loquaiplatz zwischen 1940 und 1942 dem immer dramatischer werdenden Platzmangel am Stubenring geschuldet war, während die Übersiedlung einer Abteilung des Gerichtes in die Hohenstaufengasse wohl durch die Konzentrierung auf die Verfolgung der sogenannten Selbstverstümmlerseuche begründet wurde.
 
Der ebenfalls am Stubenring 1 angesiedelte Oberstkriegsgerichtsrat des Dienstaufsichtsbezirks (DAB) 4 war in Gerichtsbelangen für die Wehrkreise XVII und XVIII zuständig. Er koordinierte den Aufbau der NS-Militärjustiz in den Wehrkreisen XVII und XVIII, wozu nicht nur die Klärung und Organisation von Abläufen und Zuständigkeiten zählte, sondern auch die Auswahl, Bestellung und Zuteilung von Richtern. Im ersten Halbjahr 1943 war der Oberstkriegsgerichtsrat im DAB 4 für mindestens fünf Gerichte und über 60 Richter in sieben Städten zuständig.
 
Generäle des österreichischen Bundesheeres werden 1938 im Marmorsaal des Kriegsministeriums, der später dem Gericht als Verhandlungssaal diente, in die Wehrmacht übernommen und vereidigt. (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

Generäle des österreichischen Bundesheeres werden 1938 im Marmorsaal des Kriegsministeriums, der später dem Gericht als Verhandlungssaal diente, in die Wehrmacht übernommen und vereidigt. (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

Reichskriegsgericht und Gerichtsherren
Das Reichskriegsgericht (RKG) verfügte über eine fix bestellte Reichskriegsanwaltschaft unter einem Oberreichskriegsanwalt. Vorarbeiten und -erhebungen zu RKG-Verfahren betreffend die Wehrkreise XVII und XVIII vor dem RKG wurden in Wien erledigt. Dabei kamen verschiedene Richter als (Rechts-)Gutachter und Untersuchungsführer zum Einsatz.
 
Am Stubenring 1 residierten weiters die Befehlshaber – und damit die Gerichtsherren – des Wehrkreises XVII. Diese Funktion wurde zwischen 1938 und 1945 von vier Generalen ausgeübt – Werner Kienitz, Otto von Stülpnagel, Alfred Streccius und Albrecht Schubert.
 
Als letzte Behörde, die am Stubenring 1 mit der Verfolgung von militärischen Delikten befasst war, ist die Abwehrstelle XVII (ASt XVII) zu nennen, die als militärischer Geheimdienst eigentlich für Spionageabwehr zuständig war und im 4. Stock untergebracht war. Sie brachte Verfahren ins Rollen, indem sie verdächtige Wehrmachtsangehörige bei der Wehrmachtsstreife oder direkt bei Gericht anzeigte, und gab im weiteren Verlauf dieser Verfahren auch politische Einschätzungen zu den Beschuldigten ab.
 
Der „heldenhafte Offizierswiderstand“ am Stubenring
Das ehemalige Kriegsministerium spielte sowohl bei der Operation „Walküre“ als auch bei den späteren Aktionen „Herbstlaub 44“ und „Radetzky“ des militärischen Widerstands eine Rolle. Nach dem Scheitern von „Walküre“ (also der geplante Putsch nach einem gelungenen Attentat auf Adolf Hitler) konzentrierte man sich auf die von Major Carl Szokoll, Ordonnanzoffizier beim Stv. Generalkommando des XVII. A.K. am Stubenring 1, für Herbst 1944 (daher der Name „Herbstlaub 44“) erwartete Befreiung durch die Alliierten. Daraus wurde aber nichts, und so sandte Szokoll Anfang April 1945 im Rahmen der „Operation Radetzky“ seinen Vertrauten, Oberfeldwebel Ferdinand Käs, zur Roten Armee, um Unterstützungsmöglichkeiten bei der bevorstehenden Besetzung Wiens zu besprechen. Die Kollaboration wurde jedoch verraten, SD und SS stürmten den Stubenring – das vermeintliche Zentrum des militärischen Widerstands – und die Rote Armee musste Wien allein befreien.
 
Befreiung 1945
Der Stubenring 1 war schon im März 1945 von einer Bombe getroffen worden und wurde in den letzten Kriegstagen auch noch Opfer eines Großbrandes. Dennoch koordinierte das Wehrkreiskommando von hier aus in Absprache mit der Stadtkommandantur in der Universitätsstraße 7 die Verteidigung der Stadt und die Evakuierungsmaßnahmen der Wehr- macht.
 
Nach 1945
Das Gebäude wurde 1946 an die Republik zurückgestellt. Es war so schwer beschädigt, dass man eine Komplettabtragung erwog aber verwarf. Die Wiederherstellung und Erweiterung des Bauwerkes um zwei Etagen dauerte drei, die Rekonstruktion der Inneneinrichtung weitere zehn Jahre. Schließlich entpuppte sich das Haus als zu groß für die militärischen Bedürfnisse der Zweiten Republik, weshalb das Amt für Landesverteidigung, die Übernahme ablehnte. Der Gebäudekomplex steht heute im Besitz des Wirtschaftsministeriums, wird von der Burghauptmannschaft Österreich verwaltet und dient, drei Bundesminister:innen als Amtssitz.
 
Aufarbeitung und Gedenken
Lange Zeit spielte die Darstellung der Gebäudegeschichte mit Bezug auf die Verwendung während dem Nationalsozialismus für die das Gebäude nützenden Ministerien keine Rolle. Anschluss, Funktion für die Miltärjustiz oder für die nationalsozialistischen Angriffskriege kamen nicht vor. Seit 2010er Jahren kommt es zu einem schrittweisen Umdenken – Ministerien stellen sich der Gebäudegeschichte umfassender. Am 23. Jänner 2023 wurde durch die Bundesminister:innen Alma Zadić, Johannes Rauch, Norbert Totschnig und Martin Kocher eine Gedenktafel am Gebäude enthüllt, die die NS-Geschichte des Gebäudes umfassend darstellt.
 
 Seit Jänner 2023 hängt eine Gedenktafel am Regierungsgebäude Stubenring (Bild: Lorenzo Vincentini)

Seit Jänner 2023 hängt eine Gedenktafel am Regierungsgebäude Stubenring (Bild: Lorenzo Vincentini)

Gericht der Division 177, Standort Hohenstaufengasse

Gericht der Division 177, Standort Hohenstaufengasse

Im Gebäude Hohenstaufengasse 3 befand sich ab Ende 1943 bis zur Befreiung ein Gericht der NS-Militärjustiz. Es war Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, u.a. verfolgte.

Briefkopf des Gerichts der Divison 177, Standort Hohenstaufengasse 3 (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Gerichts der Divison 177, Standort Hohenstaufengasse 3 (Quelle: DÖW)

Geschichte vor 1938
Das Gebäude Hohenstaufengasse 3 wurde von Otto Wagner in den Jahren 1882-1884 für die Zentraleuropäische Länderbank errichtet. Es gilt als hervorragendes Beispiel für das Frühwerk des berühmten Jugendstilarchitekten und findet daher in zahlreichen Architekturlexika Erwähnung. Die Länderbank verkaufte das Haus im Sommer 1938 an das Deutsche Reich. Die Wehrmacht ließ sogleich Modernisierungen durchführen, einige Zeit nutzten auch andere Stellen das Gebäude, darunter das Ministerium für Landwirtschaft. Der große, helle Kassensaal und die Tresorräume im Keller bestehen bis heute.


NS-Militärjustiz
Das Feldkriegsgericht der Division 177 besaß in Wien bereits zwei Standorte, am Stubenring und Loquaiplatz. Ende 1943 wurde ein dritter Standort in der Hohenstaufengasse 3 eingerichtet. Man kann davon ausgehen, dass der Standort und die neue Abteilung III eigens zur Verfolgung des ‚Selbstverstümmler-Unwesens‘, das dem Divisionsrichter Karl Everts ein ideologischer Dorn im Auge war, eingerichtet wurden. Die geografische Nähe zu den Verhörräumlichkeiten in der Roßauer Kaserne und zum Gericht der Wehrmachtskommandantur Wien in der Universtitätsstraße boten zusätzliche Vorteile gegenüber der Mariahilfer Hauptstelle. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten insgesamt rund 17 Richter am Gericht der Division 177.


Jagd nach „Selbstverstümmlern“
Die nunmehrige Abteilung III des Gerichts der Division 177 unter der Leitung von Karl Everts führte vor allem einen unerbittlichen Kampf gegen Selbstverstümmler. Man war bei Gericht der Überzeugung, dass durch absichtlich beigefügte Verletzungen und Selbstansteckungen, falsche Krankmeldungen oder mutwilliger Verlängerung von Heilungsprozessen in Wien massenweise der Dienst in der Wehrmacht verweigert wurde.

Karl Everts, der schon vor dem Krieg als Richter beim Gericht der 2. Panzer-Division in Wien stationiert gewesen war, baute in Zusammenarbeit mit der Fahndungsgruppe 200 der Heeresstreife ein engmaschiges Netzwerk der Verfolgung auf, das sich anfangs auf bestimmte Formen von Knochenbrüchen und Kniegelenksverletzungen konzentrierte, schon bald aber jede vermutete Selbstverstümmelung untersuchte.

Die Fahndungsgruppe 200 lieferte Everts im Frühsommer 1944 zwar erste Hinweise auf systematisch betriebene Selbstverstümmelungen, es fehlten aber die Beweise. Dies änderte sich, als es Everts im Juli 1944 gelang, einen Denunzianten, dem er Strafmilderung versprochen hatte, in das Reservelazarett XIa in der Boerhavegasse in Wien-Landstraße einzuschleusen. Es wurde in Folge ein Netzwerk aus Denunziant:innen und Spion:innen aufgebaut, welche häufige Treffpunkte wie Schwimmbäder und Kaffeehäuser bzw. Tatorte wie Lazarette ausspähten. Zusätzlich kontrollierte die Heeresstreife vermehrt die Reservelazarette in Wien, um dort sowohl medizinisches Personal als auch Patienten unter Druck zu setzen und zu Denunziationen anzustiften.

Um sich selbstverletztende Soldaten zu finden war jedes Mittel Recht, auch explizit Folter. So meinte Everts in einer Urteilsbegründung:

„Wenn zeitlich und örtlich bestimmte Verletzungen geradezu seuchenartig auftreten, die am Marke und an der Wehrkraft eines Volkes, welches einen Kampf auf Leben und Tod führt, rütteln, dann müssen und können auch gegebenenfalls Mittel zur Anwendung gebracht werden, die geeignet sind, derartige Verbrecher zum Sprechen zu bringen. Bei der Auswahl der Mittel kann naturgemäß nicht jener Maßstab angelegt werden, wie er in Friedenszeiten üblich ist.“



Um die Kommunikation zwischen Hohenstaufengasse und Roßauer Kaserne zu vereinfachen, wo die Wehrmachtsstreife mit der Aufgabe betraut war, mit Verhören und Folterungen zu den erwünschten Geständnissen zu kommen, wurde ein Mitarbeiter des Gerichts direkt in der Kaserne stationiert.

Bereits am 4. August 1944 ging Everts davon aus, mindestens achtzig Fälle von Selbstverstümmelung zur Verhandlung bringen zu können. Die Anklagepunkte, die Everts ab Oktober 1944 verschriftlichte, basierten zu einem Großteil auf durch Folter erpressten Geständnissen, da die meisten Ärzte sich weigerten, tendenziöse Gutachten auszustellen, die die Anklage unterstützten. Zwischen 23. Oktober und 19. Dezember 1944 wurden jedenfalls 68 Personen, Frauen und Männer, wegen Selbstverstümmelung oder Beihilfe zur Selbstverstümmelung verurteilt, 27 von ihnen zum Tode, die übrigen Angeklagten erhielten insgesamt 378 Jahre Zuchthaus. 14 der zum Tode Verurteilten wurden am 7. Februar 1945 am Militärschießplatz Kagran erschossen. Everts leitete und organisierte diese Hinrichtungen.

Durchhalten in der Hohenstaufengasse
Noch am 15. Februar 1945, also zwei Monate vor der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, führte Karl Everts Verfahren gegen Selbstverstümmler. Die Richter in der Hohenstaufengasse 3 hielten sogar in den letzten Tagen bis zur Befreiung den Dienstbetrieb aufrecht. Dieser bestand zu diesem Zeitpunkt vor allem daraus, verurteilte Soldaten zur „Frontbewährung“ zu schicken, also der Österreich vom Osten her befreienden Roten Armee entgegenzuschicken. Erst rund um den 4.4.1945 dürften sich auch die letzten Richter nach Oberösterreich abgesetzt haben.

Der historische Gerichtssaal des Divisonsgerichts dient heute als Sitzungszimmer (Quelle: Alexander Wallner)

Der historische Gerichtssaal des Divisonsgerichts dient heute als Sitzungszimmer (Quelle: Alexander Wallner)

Nach 1945
Das Gebäude fiel als „Deutsches Eigentum“ der Republik Österreich zu. In den ersten Jahren wurde es von den verschiedenen militärischen Stellen verwendet, dem folgte (wie am Otto-Wagner-Platz) das Zentralbüro des European Recovery Program (ERC, „Marshall-Plan“). Nach dessen Auslaufen nutzten verschiedene Bundesstellen (Bundesverlag, Lehrmittelstelle, Fremdenverkehrswerbung, Archiv des Innenministeriums, usw.) das Gebäude. Seit 1994 wurde es vom Bundeskanzleramt (Sektion III) genutzt, seit 2018 ist es Teil des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS). Der ehemalige Gerichtssaal ist heute ein Sitzungszimmer.


Aufarbeitung und Gedenken
Lange Zeit spielte die Darstellung der Gebäudegeschichte in Bezug auf die Verwendung während dem Nationalsozialismus für die das Gebäude nützenden Ministerien keine Rolle. Seit den 2010er Jahren wurde durch zivilgesellschaftliche Kampagnen die Geschichte des Gebäudes in der Öffentlichkeit thematisiert. So wies Richard Wadani, Wehrmachtsdeserteur und Ehrenobmann des Vereins ‚Personenkomitee Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz‘ am 13.8.2009 bei einer Pressekonferenz vor Ort auf das fehlende Gedenken hin:

Heldendenkmäler gibt es überall, aber an die Opfer erinnert nichts.



Am 6.9.2009 brachte eine vergangenheitspolitische Initiative namens ‚AK Denkmalpflege‘ während eines aktionistischen Stadtspazierganges eine temporäre Gedenktafel mit folgender Aufschrift am Gebäude an:

Hier, auf dem NS-Feldkriegsgericht für Wien von 1943-1945, hängt [k]eine Gedenktafel für die Verfolgten und Ermordeten der NS- Militärjustiz.



Am 12. Jänner 2024 wurde von Vizekanzler und Bundesminister Werner Kogler, in Anwesenheit der Bundesminister:innen Alma Zadić und Johannes Rauch, der zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures, sowie Bezirksvorsteher Markus Figl, eine Gedenktafel am Gebäude enthüllt, die auf die NS-Geschichte des Gebäudes verweist. Im Rahmen der feierlichen Enthüllung spielte das Ensemble der Gardemusik Wien das Moorsoldatenlied.

Fallbeispiele

Gericht Div. 177, Loquaiplatz

Briefkopf Gericht der Division 177, Standort Loquaiplatz. Bildquellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Gericht der Division 177, Standort Loquaiplatz

Im Gebäude Loquaiplatz 9 befand sich ab 1939 bis zur Befreiung ein Gerichts der NS-Militärjustiz. Es war Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Geschichte vor 1938
Die Geschichte des Gebäudes am Loquaiplatz 9 (mit Fronten zur Königsegggasse 10 bzw. Otto-Bauer-Gasse 7-9, damals: Kasernengasse 7-9) ist eng mit der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung verbunden. Deren Einrichtungen litten unter Platznot, weswegen für die Arbeiter-Krankenkasse das Gebäude errichtet und 1904 bezogen wurde. Das Haus war während der Ersten Republik deshalb auch Angriffen ausgesetzt, etwa im September 1932 während des Wiener NSDAP-Gauparteitages.
Das Haus bezog 1934 – nach dem Verbot aller sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen – die austrofaschistische Einheitsgewerkschaft und eine Soldatenorganisation.

Nach dem „Anschluss“
Direkt nach dem „Anschluss“ Österreichs übernahm die Deutsche Arbeitsfront (DAF)  das Gebäude. Bald darauf meldete die Wehrmacht Verwendung an, welche zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach Gerichts- und Haftgebäude war. Noch 1939 übersiedelten Teile des Gerichts der Division 177 aus der Zentrale am Stubenring ins Gebäude Loquaiplatz 9.

Verfügung des Gerichts der Division 177, Standort Loquaiplatz 9 über die Vorführung eines Verdächtigen zur Hauptverhandlung (Quelle: DÖW)

Verfügung des Gerichts der Division 177, Standort Loquaiplatz 9 über die Vorführung eines Verdächtigen zur Hauptverhandlung (Quelle: DÖW)

Nutzung durch die Wehrmachtsjustiz
Im Gebäude fanden Richter und ihre MitarbeiterInnen sowie Gerichtsherren und ihre Stäbe Platz. Man nützte dazu zwei Etagen (erster Stock und Hochparterre) als Gerichts- und Büroräumlichkeiten, die Etagen darüber als Wohnungen. Zumindest 1944 diente der Standort am Loquaiplatz als „Hauptstelle“ der Division 177. Diese verfügte zu diesem Zeitpunkt über drei Standorte in Wien und eine in Brno/Brünn, elf bis 17 Richter sprachen an diesen Recht.
Unter den am Mariahilfer Standort tätigen Militärrichtern war Karl Everts, Leopold Breitler und Erich Schwinge, ein zentraler Kommentator des NS-Militärstrafrechts und nach dem Krieg Apologet der Wehrmachtjustiz.

Ansicht des Gebäudes heute (jedoch noch ohne Gedenktafel), Ecke Loquaiplatz und Königsegggasse (Bild: Alexander Wallner)

Ansicht des Gebäudes heute (jedoch noch ohne Gedenktafel), Ecke Loquaiplatz und Königsegggasse (Bild: Alexander Wallner)

Urteilsbestätigung durch Gerichtsherren
Die der Militärgerichtsbarkeit zugrundeliegende Logik verlangte eine Bestätigung jedes Urteils durch den Gerichtsherren. Der Loquaiplatz war einer jener Dienstorte von Gerichtsherren, an denen die Urteile – von der Arreststrafe bis zum Todesurteil – wirksam und gültig wurden. Für die meisten Verfahren der Division 177 war dies Generalmajor Erich Müller-Derichsweiler.

Gedenktafel, Loquaiplatz (Quelle: privat)

Gedenktafel, Loquaiplatz (Quelle: privat)

Nach 1945
Über die Befreiung des Gerichtsgebäudes ist nichts bekannt. 1948 wurde das Gebäude an den ÖGB restituiert, 1961 erwarb es die Stadt Wien. Heute beherbergt es neben zahlreichen Wohnung etwa auch die SPÖ-Mariahilf und ein städtisches Haus der Begegnung. Seit 2013 weist eine Erinnerungsstafel des Bezirks auf die Geschichte und Funktion des Gebäudes hin.

Fallbeispiel:
Johann Wimmer wurde vom Gericht am Loquaiplatz 9 im Jahr 1943 wegen Fahnenflucht als 20jähriger zum Tode verurteilt. Zwei Personen, die Wimmer halfen, ihn versteckten und mit Essen versorgten, wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Link zur Biografie von Johann Wimmer (DÖW)
Link zum Urteil gegen Johann Wimmer (samt Adressangabe Loquaiplatz 9)

Zentralgericht des Heeres, Außenstelle Wien

Zentralgericht des Heeres, Außenstelle Wien

Über dem heutigen Amtsgebäude des Bundesheeres am Franz-Josefs-Kai 7-9 wehte bis 1945 die Reichskriegsflagge, in ihm tagte die Wiener Außenstelle des Zentralgericht des Heeres. Es war als Gericht der NS-Militärjustiz Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Inserat eines Kleiderhauses, 1932, mit Anschrift (Quelle: Lehmann)

Inserat eines Kleiderhauses, 1932, mit Anschrift (Quelle: Lehmann)

Geschichte vor 1938
Der „Industriepalast“ am Franz-Josefs-Kai 7-9 war bis in die 1930er Jahre eine weithin bekannte Adresse: eine Vielzahl an Speditionen, Reisebüros, Großhandelsfirmen, Verlage und ähnlichen Unternehmen boten dort ihre Dienste an. 1932 hatten 60 Wiener Firmen dort Niederlassungen auf rund 2000 Quadratmetern, ein Beispiel siehe nebenbei. Das für Moriz Brill erbaute Gebäude wurde 1907 fertig gestellt und verfügte sogar über einen eigenen Abgang zur damaligen Stadtbahn (heute: Linie U4).

Übernahme Wehrmachtsjustiz
Die BesitzerInnen des Gebäudes wurden 1938 enteignet, das nunmehr „arisierte“ Gebäude für Dienststellen des Dritten Reiches adaptiert. Kurzfristig bezog das in Auflösung befindliche und aus dem Stubenring ausquartierte Ministerium für Wirtschaft und Arbeit das Gebäude, 1939 folgte die Wehrmacht mit verschiedenen Dienststellen.

Ausschnitt aus einer Ansicht des Franz-Josefs-Kais, 1913; Ganz rechts im Bild der Industriepalast, links die Urania (Quelle: Wiener Linien, Bildstrecke)

Ausschnitt aus einer Ansicht des Franz-Josefs-Kais, 1913; Ganz rechts im Bild der Industriepalast, links die Urania (Quelle: Wiener Linien, Bildstrecke)

Gericht der Wehrmachtskommandantur Berlin, Außenstelle Wien
Es handelte sich dabei um ein Gericht mit besonderer Zuständigkeit innerhalb der Wehrmachtsjustiz. Es war kein Höchstgericht, manche grundsätzlichen Entscheidungen aber für andere Gerichte bindend. Es wurde 1934 unter der Bezeichnung „Gericht der  Wehrmachtskommandantur Berlin“ gegründet, seit 1938 besaß es seine einzige Außenstelle in Wien. Es ist strikt vom Gericht der  Wehrmachtskommandantur Wien zu unterscheiden.
Das Gericht der Wehrmachtskommandantur Berlin war ua. zuständig für alle im Ersatzheer anfallenden Fälle von Wehrkraftzersetzung (mit Ausnahmen, etwa Selbstverstümmelung), Verstößen gegen das „Heimtückegesetz“, politischen Strafsachen, Homosexualität sowie alle Fahnenflüchtigen, die nach drei Monaten Fahndung nicht gestellt  wurden.

Über 100 Richter waren in Berlin und Wien an diesem Gericht tätig und führten rund 46.000 Verfahren. Die Zuständigkeit dieses Wiener Gerichts reichte weit in den von der Wehrmacht besetzten Osten und Süden und Westen, hier wurden Verfahren aus Griechenland, Rumänien und Frankreich verhandelt. Die Verhafteten wurden dabei nur selten dem Gericht selbst vorgeführt, meist das Urteil dem Soldaten nur verlesen und vor Ort exekutiert.

Briefkopf des Gerichts der Wehrmachtskommandantur Berlin, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 2.Februar 1944 (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Gerichts der Wehrmachtskommandantur Berlin, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 2.Februar 1944 (Quelle: DÖW)

Zentralgericht des Heeres, Außenstelle Wien
Im Frühjahr 1944 wurde das Zentralgericht des Heeres gegründet  und übernahm die allermeisten Agenden des Gerichts der Wehrmachtskommandantur Berlin. Auch die Außenstelle Wien ging in diese neuen Strukturen über. Die Größe des Gerichts blieb dabei im Wesentlichen gleich, ebenso die Anzahl der Verfahren. 1945  dürften Teile des Zentralgerichts des Heeres in die Hohenstaufengasse 3 übersiedelt sein, möglicherweise wegen Platzmangel oder Schäden am Gebäude.

Briefkopf des Zentralgerichts des Heeres, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 4.Juni 1944 (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Zentralgerichts des Heeres, Außenstelle Wien mit Adresse Franz-Josefs-Kai 7-9 vom 4.Juni 1944 (Quelle: DÖW)

Kommandantur der Wehrmachtsstreife
Die Wehrmachtsstreife war im Wesentlichen für Fahndung nach und Festnahme von verdächtigen Soldaten zuständig. Ihr Zentrum bildete die nahegelegene Rossauerkaserne, wohin die Festgenommenen gebracht wurden und wo Verhöre und Folterungen stattfanden. Übergeordnete Stellen waren die Kommandostandorte am Franz-Josefs-Kai 7-9 und  am Kohlmarkt 8-10. Gestapo, Schutzpolizei und Wehrmachtsstreife unterstützten einander bei der Fahndung nach Verdächtigen stark, tauschten Informationen aus und bedienten sich des  gleichen Netzwerks aus InformantInnen- und DenunziantInnen. Sie überstellten sich Verhaftete, die in die jeweils anderen Zuständigkeitsbereiche fielen. Entlang des Donaukanals konzentrierten sich diese Institutionen auch räumlich:  Die Gestapo-Zentrale am Morzinplatz lag nur 400 Meter von der Kommandantur der Wehrmachtsstreife entfernt, wenige hundert Meter flussaufwärts folgten die Rossauerkaserne als Verhör- und Folterort sowie  das Polizeigefängnis Rossauerlände, das alle drei nutzten.

Eingang des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Eingang des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Frontansicht des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Frontansicht des Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai 7-9 (Quelle: Alexander Wallner)

Nach 1945
Das Gebäude wurde bei der Befreiung leicht beschädigt. Es fiel der Republik Österreich zu, obwohl es vor der „Arisierung“ gar nicht staatlichen Stellen diente. Gleich nach 1945 nutzte die Vorgänger-Institutionen des Bundesheeres und teils auch andere Einrichtungen der öffentlichen Hand das Gebäude. Erst Anfang 1955 wurde das Gebäude formal den enteigneten BesitzerInnen restituiert und daraufhin für das Verteidigungsministerium zurückgekauft. Ab 1957 wurde das Gebäude renoviert und modernisiert, damals erhielt es auch die schmucklose, grau-braune Fassade. Seither dient es dem Verteidigungsministerium als „Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai“, zeitweise auch als Sitz des Ministers.

Gericht der 2.Panzer-Division

Gericht der 2.Panzer-Division

Im Gebäude Otto-Wagner-Platz 5 bestand ab 1938 ein großes Gericht der Wehrmacht. Als Gerichte der NS-Militärjustiz war sie Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Inserat Phönix-Versicherung, 1930, mit Anschrift (Quelle: Lehmann)

Inserat Phönix-Versicherung, 1930, mit Anschrift (Q: Lehmann)

Geschichte vor 1938
Das Gebäude wurde 1928/1929 von Ernst Epstein als Hauptsitz der Versicherungs-Gesellschaft Phönix erbaut. Die „Phönix“ war eine der größten österreichischen Versicherungen der Zwischenkriegszeit und durch Sponsoring stark mit der Innenpolitik verknüpft. Anfang 1936 erschütterte der Phönix-Skandal und seine Auswirkungen die Innenpolitik des austrofaschistischen Regimes, die Firma wurde noch 1936 liquidiert.

Übernahme Wehrmachtsjustiz
1938 übernahm gleich nach dem „Anschluss“ Österreichs Kommandantur und Gericht der 2. Panzer-Division das riesige,  siebengeschoßige Gebäude. Die 2. Panzer-Division wurde 1935 in Deutschland aufgestellt und 1938 nach Wien verlegt, im September 1939 verließ sie bedingt durch den Überfall auf Polen die Stadt wieder. Das Gericht der 2. Panzer-Division war eines von vier Divisionsgerichten zwischen März 1938 und September 1939 das in Wien tätig war. Alle befanden sich im örtlichen Nahbereich zum heutigen Landesgericht, das damals als Haftanstalt diente.

Größe und Verfahren
Über die Anzahl an Verfahren des Gerichts in diesen achtzehn Monaten bis Kriegsbeginn ist wenig bekannt, die Delikate waren meist minderschwer, oftmals Bagatellen und selten „politisch“. Am Gericht der 2. Panzer-Division dienten bis 1939 zumindest sechs Richter, darunter Karl Everts, der ab 1944 als Richter am Gericht der Division 177 ein leidenschaftliche Jagd auf Selbstverstümmler veranstaltete. Welche Behörde 1939 bis zur Befreiung das Gebäude nützte ist nicht bekannt.

Blick auf das Gebäude, heute von der Finanzmarktaufsicht benützt. Rechts im Hintergrund das Wiener Landesgericht. (Quelle: Alexander Wallner)

Blick auf das Gebäude, heute von der Finanzmarktaufsicht benützt. Rechts im Hintergrund das Wiener Landesgericht. (Quelle: Alexander Wallner)

Nach 1945
Das Gebäude übernahm die ECA Special Mission (Economic Cooperation Administration), eine US-Berhörde, die den Marshall-Plan umsetzte (Adresse: Frankhplatz 3). Ihr folgte 1958 die Österreichische Mineralverwaltung (später: OMV), ab 2009 die Finanznmarktaufsicht (FMA).

Gerichte Schwindgasse

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Schwindgasse 8 – Luftwaffen-Gericht und Reichkriegsgericht

Im Gebäude Schwindgasse 8 bestand ab 1938 ein großes Luftwaffen-Gericht, später auch eine Außenstelle des Reichkriegsgericht. Als Gerichte der NS-Militärjustiz war sie Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Briefkopf eines Schreibens des Gerichts des Luftgaus an eine Wiener Haftanstalt, 1942 (Quelle: DÖW)

Briefkopf eines Schreibens des Gerichts des Luftgaus an eine Wiener Haftanstalt, 1942 (Quelle: DÖW)

Einrichtung Gericht des Luftgau
Direkt nach dem „Anschluss“ 1938 bezog in der Schwindgasse 8 das Luftwaffen-Gericht Quartier. Dabei war die örtliche Nähe zu anderen hohen Stellen der Luftwaffe (Luftflottenkommando 4 am Schwarzenbergplatz, Luftgaukommando XVII am Schillerplatz) vorteilhaft. Das Gericht firmierte seit 1938 unter der Bezeichnung „Feldgericht des Luftgaus XVII“, später auch als „Feldgericht des kommandierenden Generals und Befehlshabers im Luftgau XVII“.

Zuständigkeit und Größe
Der Luftgau XVII war sehr groß und bestand aus einem Gutteil des heutigen Österreichs und der heutigen tschechischen Republik. Alle Angehörigen der Luftwaffe – Offiziere, Soldaten sowie etliche ZivilistInnen – unterstanden dem Luftgau-Gericht so nicht speziellere oder direktere Gerichte zuständig waren. Das Gericht unterhielt auch Außenstellen, etwa in Linz und Brno. Teilweise arbeiteten bis zu acht Richter gleichzeitig an diesem Gericht, ein Dienstaufsichtsrichter führte es. Urteil des Gerichts mussten von Gerichtsherren – den jeweiligen Luftwaffen-Kommandanten – unterzeichnet werden, die meisten saßen örtlich in den oben genannten Kommandanturen.

Ausschnitt aus einer Verfahrensverfügung gegen Angehörige einer steirischen Widerstandsgruppe (OFF) zu einer Verhandlung in der Schwindgasse 8, 1944 (Quelle: DÖW 21062/85C)

Ausschnitt aus einer Verfahrensverfügung gegen Angehörige einer steirischen Widerstandsgruppe (OFF) zu einer Verhandlung in der Schwindgasse 8, 1944 (Quelle: DÖW 21062/85C)

Reichskriegsgericht
Das Reichskriegsgericht (RKG) bestand in Berlin seit 1936, nach dem „Anschluss“ 1938 dehnte es seine Zuständigkeit auf Österreich aus. Bis zum Kriegsbeginn 1939 war es vor allem für Revisionsverfahren, nebst Verfahren wegen Hoch- und Landesverrat, zuständig. Manche seiner Entscheidungen waren richtungsweisend und verbindlich für andere Kriegsgerichte. Mitte August 1943 wechselte der Gerichtssitz von Berlin nach Torgau. Der 1941 eingerichtete 4. Senat des RKG tagte spätestens ab Herbst 1944 teils in der Schwindgasse in Wien. In mehr als 10.000 Fällen wurde vom RKG Ermittlungen geführt, rund die Hälfte dann auch angeklagt.

Zuständigkeiten des Reichskriegsgerichts
Das RKG war für bestimmte Delikte zuständig, egal ob von Soldaten oder ZivilistInnen verübt. Es war vor allem zuständig für die Delikte des Hochverrats, Landesverrats, Kriegsverrats, bei Angriffen auf den Führer und Reichskanzler, bei bestimmten Fällen der Wehrkraftzersetzung . Besonders viele Fälle religiöser und politischer (Kriegsdienst)Verweigerung landeten beim RKG.

Urteilspraxis des Reichskriegsgerichts
Von den 1189 verhängten Todesurteilen wurden 1049 vollstreckt, die meisten wegen Spionage (340), Landesverrat (313) und Zersetzung der Wehrkraft (313); ferner betrafen die Urteile mehr Zivilpersonen als Militärangehörige (689 zu 500), die meisten Militärangehörige waren wiederum Teil des Heeres. (422)

Bulgarische Botschaft heute (Bild: Mathias Lichtenwagner)

Bulgarische Botschaft heute (Bild: Mathias Lichtenwagner)

Auflösung beider Gerichte
Ende März 1945 wurde das Luftwaffengericht nach Oberösterreich verlegt, es bezog in Linz und Stadl-Paura bei Lambach Quartier. Wahrscheinlich wurde auch das Reichskriegsgericht zum gleichen Zeitpunkt aus der Schwindgasse abgezogen. Gegen Richter und Bedienstete des Luftwaffen-Gerichts in der Schwindgasse wurde 1945 ein Ermittlungsverfahren nach dem Kriegsverbrechergesetz geführt, bis Mitte 1947 jedoch alle Beschuldigten enthaftet und alle Verfahren eingestellt. Die Richter gaben zwar zu Protokoll, dutzende Todesurteile gegen Deserteure und Wehrkraftzersetzer gesprochen zu haben – das blieb für sie aber ohne Konsequenzen.

Die diplomatische Vertretung Bulgariens nutzt seit 1957 das Gebäude.

Fallbeispiel:
Karl und Edgar Ulsamer wurde am 11.März 1945 vom Reichskriegsgericht in der Schwindgasse zum Tode verurteilt, während der Evakuierung des WUG X gelang ihnen jedoch die Flucht.

Feldgericht Maxingstraße

Feldgericht in der Maxingstraße 20
Die Villa in der in der Maxingstraße 20 wurde 1938 enteignet und diente ab 1941 als Luftwaffen-Feldgericht. Als Gericht der NS-Militärjustiz war es Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Die Villa Trebitsch in der Maxingstraße 20, um ca. 1942 (Bild: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Die Villa Trebitsch in der Maxingstraße 20, um ca. 1942 (Bild: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Verwendung vor 1938
Die Villa ließ 1907/08 der Übersetzer, Lyriker und Journalist Siegfried Trebitsch erbauen. Nach dem „Anschluss“ 1938 war das Ehepaar Trebitsch zur Flucht gezwungen und musste sich verarmt und über 70-Jährige in der Schweiz ein neue Existenz aufbauen. Die gesamte Einrichtung der Villa wurde in einer „privaten Versteigerung“ unter BeamtInnen der Vermögensverkehrsstelle und deren Bekannten im Herbst 1940 entwendet. Mitte Jänner 1941 besichtigten erstmals Offiziere der Luftwaffe das Gebäude um es sodann für die Einrichtung eines Gerichts zu übernehmen.

Kriegsrichter des "Feldgericht des Höheren Fliegerausbildungskommandeurs 17" im Garten des Gerichts, Mai 1942 (Bild: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Kriegsrichter des “Feldgericht des Höheren Fliegerausbildungskommandeurs 17” im Garten des Gerichts, Mai 1942 (sitzend, 4.v.L.: Kriegsgerichtsrat Dr. Kunze, 5.v.L.: Kriegsgerichtsrat Dr. Schweiger) (Bild: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Luftwaffen-Gericht
Im Umfeld bestanden mehrere Einrichtungen der Luftwaffe, darunter die Zentrale des Höheren Fliegerausbildungskommandos 17 und die Luftwaffen-Kaserne am Küniglberg. Dies machte die Errichtung eines entsprechenden Gerichtes in Wien-Hietzing – weit abseits der anderen Wiener Militärgerichte – notwendig. Das Feldgericht des Höheren Fliegerausbildungskommandeurs 17 hatte ein relativ hohes Aufkommen an Verfahren, bis zu 70 pro Monat. Das Gericht war zumindest bis 1943 tätig, möglicherweise auch länger. Verfolgte der Luftwaffen-Gerichte saßen meist im WUG XXI in Wien-Floridsdorf ein, zum Tode verurteilte Soldaten der Luftwaffe wurden oft am Schießplatz Kagran hingerichtet,

Befreiung und Nicht-Rückgabe
Das Haus fiel nach der Befreiung 1945 als „Deutsches Eigentum“ der Republik Österreich zu, welche es 1946 sofort an die Tschechoslowakische Republik verkaufte. Seit diesem Zeitpunkt diente es als Residenz des tschechoslowakischen, seit 1993 als Wohnsitz des slowakischen Botschafters. Die „arisierte“ Villa und das „eingezogenes“ Vermögen wurde niemals restituiert, vor Ort erinnert heute kein Hinweis an Trebitsch oder das NS-Militärgericht – sehrwohl jedoch an den Architekten der Villa…