Das erste österreichische DESERTEURSDENKMAL steht in Wien
Am 24. Oktober 2014 wurde durch einen Festakt am Ballhausplatz das Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz eröffnet. Denkmalsetzerin ist die Stadt Wien.
Die nationalsozialistische Militärjustiz verhängte während des Zweiten Weltkrieges mehr als 30.000 Todesurteile: gegen Soldaten, Kriegsgefangene und ZivilistInnen, insbesondere aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten in ganz Europa. Die meisten Todesurteile ergingen gegen Deserteure und »Wehrkraftzersetzer«. Viele tausend weitere Soldaten starben nach kriegsgerichtlichen Urteilen in sogenannten Bewährungseinheiten an der Front.
Angefeindet, diffamiert …
Handlungsweisen, Lebenswege und biografische Hintergründe der Verfolgten sind vielfältig. Vor den Militärgerichten standen erklärte politische GegnerInnen des Nationalsozialismus ebenso wie Menschen, die aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus individuelle Freiräume suchten. Jegliche Form der Widersetzlichkeit oder etwa die Unterstützung von Deserteuren durch zivile Helferinnen und Helfer konnten als politische Delikte bewertet werden und wurden mit härtesten Strafen belegt.
Nach Kriegsende begegnete die österreichische Gesellschaft den Überlebenden dieser Verfolgung mit Ablehnung und Feindschaft. Zwar hielt sich in Österreich lange der Mythos, durch den Einmarsch deutscher Truppen im Jahre 1938 sei Österreich das »erste Opfer« deutscher Kriegspolitik geworden. Dennoch galt der Dienst österreichischer Soldaten in der »Großdeutschen« Wehrmacht als Pflichterfüllung oder gar als heldenhaft.
… und 2009 rehabilitiert.
Angeregt durch historische Forschungen, setzte sich erst ab der Jahrtausendwende langsam die Erkenntnis durch, dass sich die nationalsozialistische Militärjustiz bedingungslos in den Dienst eines verbrecherischen Krieges gestellt hatte. Im Jahre 2009 rehabilitierte der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen die Opfer der Verfolgung durch die Wehrmachtsgerichte und erkannte insbesondere Desertion »als bewusste Nichtteilname am Krieg an der Seite des nationalsozialistischen Unrechtsregimes« als Akt des Widerstands an.
Das Denkmal
Die Skulptur Olaf Nicolais an diesem zentralen Ort der Republik Österreich greift die klassischen Elemente eines Mahnmals »Sockel« und »Inschrift« auf, arrangiert diese aber völlig anders als traditionelle Kriegerdenkmäler. Ein überdimensionales, liegendes »X« bildet den dreistufigen Sockel, in dessen dritte Ebene die nur von oben lesbare Inschrift eingelassen ist. Der Text zitiert ein Gedicht des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay (1925–2006), der mit wichtigen VertreterInnen der sprachkritischen und experimentellen Wiener Künstlerszene befreundet war. Das Zusammenspiel von Sockel und Inschrift inszeniert die Situation des Einzelnen in und gegenüber gesellschaftlichen Ordnungs- und Machtverhältnissen. Bedroht von Anonymisierung und Auslöschung, die ihn zum »X« in einer Akte werden lassen, ist seine Position dennoch zentral. Die Skulptur erweist denjenigen Respekt, die eine eigene Entscheidung treffen, sich der Fremdbestimmung widersetzen und sich durch ihr eigenständiges Handeln gegen das geltende System stellen.
Der Künstler
Olaf Nicolai wuchs in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) auf, 1983 bis 1988 Studium der Germanistik mit anschließender Promotion an der Universität Leipzig (Titel: Geste zwischen Expression und Kalkül. Zur Poetik der Wiener Gruppe). Seit Anfang der 1990er Jahre ist er mit Gruppen- wie mit Einzelausstellungen an fast allen wichtigen Orten des zeitgenössischen Kunstgeschehens präsent.
Olaf Nicolai lebt und arbeitet in Berlin.