Nachruf Richard Wadani

Richard Wadani in Wien verstorben — 

Richard Wadani, Ehrenobmann des Personenkomitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“, ist in der Nacht von 18. auf 19. April 2020 nach einem Schlaganfall verstorben. Im Oktober wäre er 98 Jahre alt geworden.

Über zwei Jahrzehnte prägte Richard Wadani eine wichtige vergangenheitspolitische Debatte über Beteiligung und Verantwortung von Österreicher*innen in den Jahren von Nationalsozialismus und Krieg. An deren Ende stand die vollständige politische und juristische Rehabilitierung derer, die sich dem verbrecherischen Regime als Soldaten verweigerten – und das zentrale Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz am Ballhausplatz.

Richard Wadani wurde 1922 in Prag geboren. Dort wuchs er in einem sozialdemokratisch geprägten Milieu auf; jedoch schon früh zog es ihn zur tschechischen kommunistischen Partei hin. Bereits als Zwölfjähriger marschierte er bei großen Demonstrationen der politischen Linken in der Prager Innenstadt mit. 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich und dem „Münchner Abkommen“, galten die aus Österreich stammenden Wadanis als Deutsche und wurden aus Prag ausgewiesen. Ohne politische Kontakte in Wien und unter ständiger Angst vor Verhaftung meldete sich Richard Wadani kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs freiwillig zur Luftwaffe – wie er in Interviews immer wieder betonte, insbesondere deshalb, um als Angehöriger des Bodenpersonals Gelegenheiten zu Widerstandsaktionen zu nutzen. Nachdem ein Versuch, in der Sowjetunion überzulaufen, im März 1942 fehlgeschlagen war, glückte ihm die Desertion im Herbst 1944 an der Westfront: Er erlebte seinen „persönlichen 8. Mai 1945“ (Alfred Andersch) ein gutes halbes Jahr vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Unmittelbar nach seinem Überlaufen schloss er sich Verbänden der tschechischen Exilarmee an.

Richard Wadani hat für seine politischen Ziele hart und ausdauernd gekämpft – und er war es gewohnt, in der Minderheit zu sein und häufig gegen den Zeitgeist anzukämpfen. 1946, zurück in Wien, wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs und arbeitete mit großer Entschlossenheit für seine Überzeugung; sein Geld verdiente er in Vorfeldorganisationen der KPÖ. Zum Bruch kam es wegen der affirmativen KPÖ-Position zur gewaltsamen Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968. In den folgenden Jahren arbeitete er als Trainer und Sportfunktionär für die Bundesanstalten für Leibeserziehung (BAFL) und den Pensionistenverband der SPÖ.

Schon vor 1968 kämpfte Richard Wadani an dem ihm wichtigsten politischen Projekt: den Kampf gegen die Positionen des Österreichischen Kameradschaftsbundes – und dessen großen Einfluss vor allem in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Das 1946 von der Bundesregierung herausgegebene Rot-Weiß-Rot-Buch stellte zwar noch die Deserteure und Überläufer als positive Beispiele einer Selbstbefreiung Österreichs von der NS-Herrschaft dar; doch währte diese Darstellung nur kurz, und insbesondere die Veteranen der Wehrmacht denunzierten die Männer, die ihre vermeintliche Pflicht für die nationalsozialistische Kriegsführung nicht hatten erfüllen wollen, als „Verräter“ und „Kameradenschweine“. Diese Deutung der historischen Ereignisse dominierte bis in die 1990er Jahre die öffentlichen Diskussionen – oder besser: sie wurde kaum öffentlich diskutiert. Für Richard Wadani ein unerträglicher Zustand. Selbst in der Kommunistischen Partei konnte Wadani vor 1968 keine Verbündeten gewinnen, dort lag der Akzent auf der Würdigung von KZ-Opfern und den politischen Kämpfern gegen den Faschismus – ungehorsame Soldaten gehörten nicht dazu.

Der Schritt aus der politischen Bedeutungslosigkeit gelang erst durch die Allianz mit einem Team junger Studierender aus Politik- und Geschichtswissenschaft an der Wiener Universität. Bis dahin hatte Richard Wadani meist allein oder, seit den 1990er Jahren, in vorübergehenden Bündnissen mit Politiker*nnen der Grünen für seine Agenda gekämpft. Wie wir auf www.deserteursdenkmal.at ausführlich dokumentieren, war es schließlich das breite Bündnis von Akteur*innen aus Wissenschaft, Kunst und Kultur, Politik, Medien und Zivilgesellschaft, mit dem Wadani – seit 2002 auch mit Hilfe des Personenkomitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ – seine politischen Ziele erfolgreich durchsetzen konnte.

„Mut, Zivilcourage und ein unerschütterlicher Gerechtigkeitssinn zeichneten Richard Wadani aus. Mit seinem Tod verliert unser Land einen großen Österreicher.“ Mit diesen Worten würdigt Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Verstorbenen am Tag nach dessen Tod. Van der Bellen blickt von seinem Amtssitz aus jeden Tag auf das Denkmal im Herzen Wiens, das maßgeblich auf Richard Wadani und seine Initiative zurückgeht. Aus dem Bundeskanzleramt ist der Blick bekanntlich derselbe; von Bundeskanzler Sebastian Kurz war zum Ableben von Richard Wadani leider nichts zu hören.

Nicht nur beim Anblick des Denkmals werden wir an Richard denken: an seinen klaren und scharfen politischen Verstand, an seine unermüdliche Energie, die insbesondere für seine Gegnerinnen und Gegner stets unbequemen war, und an den Menschen, Gefährten und Freund, mit dem wir als Angehörige und Freunde des Personenkomitees viele gute und schöne Erinnerungen verbinden. Wir trauern um Richard, unser Mitgefühl gehört seiner Witwe Linde Wadani und der Familie.

Eine Kurzzusammenfassung der Geschichte Richard Wadanis mit Fotos und Dokumenten finden Sie hier.

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