Gericht der Division 177, Standort Stubenring

Gericht der Division 177, Standort Stubenring

Im ehem. Kriegsministerium (heutiges Regierungsgebäude) am Stubenring 1, befanden sich 1938 bis 1945 eine ganze Reihe von für die Etablierung der Wehrmachtsjustiz wichtige Stellen und Gerichte. In diesem Gebäude wurde das Netzwerk der NS-Militärjustiz in Österreich und Wien aufgebaut und über sieben Jahre lang betrieben.

Die deutsche Wehrmacht bezieht im März 1938 das ehemalige Kriegsministerium am Stubenring (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

Die deutsche Wehrmacht bezieht im März 1938 das ehemalige Kriegsministerium am Stubenring (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

 
Geschichte vor 1938
Das Gebäude wurde 1913 als k.u.k. Reichskriegsministerium errichtet und blieb auch nach der Ausrufung der Republik im Herbst 1918 in militärischer Verwendung. Als „Liquidierendes Kriegsministerium“ war es für die Demobilisierung der k.u.k. Armee und danach als „Staatsamt für Heereswesen“ für den Aufbau des Bundesheers der Ersten Republik verantwortlich. Im Jahr 1924 nahm die Radio-Verkehrs AG (kurz RAVAG), die erste österreichische Rundfunkgesellschaft, ihren Betrieb auf. Während des Austrofaschismus stand der Stubenring 1 einige Male im Brennpunkt österreichischer Politik, unter anderem wurde hier Kurt Schuschnigg zum Nachfolger des ermordeten Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß ernannt.
 
Nach dem „Anschluss“
Mit 1. April 1938 zogen das Generalkommando des XVII. Armeekorps (A.K.) und die Kommandantur des Wehrkreises XVII mit ihren jeweiligen Stäben und Abteilungen – darunter das Gericht des XVII. A.K. – in das ehemalige Kriegsministerium ein. Die Juristen am Stubenring etablierten in kurzer Zeit eine politisch willfährige Justiz und schworen Richter, Justizbeamte und Offiziere auf die kommenden Eroberungskriege und den Vollzug der neuen Rechtsordnung ein.
 
Briefkopf des Gerichts der Division 177, Standort Stubenring (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Gerichts der Division 177, Standort Stubenring (Quelle: DÖW)

Aufbau der NS-Militärjustiz
In Österreich standen 18 Monate zur Verfügung, um eine Militärjustiz zu etablieren und diese entsprechend auf die Kriegserfordernisse vorzubereiten. Das Gericht des XVII. A.K. trug dabei die Hauptverantwortung. Die Berufungsinstanz wurde zweckentfremdet und in ein Konditionierungs- und Radikalisierungsinstrument umgebaut.
 
Nach Kriegsbeginn im September 1939 wurde das Gericht der Division 177 am Stubenring 1 etabliert. Außerdem hatten der Oberstkriegsgerichtsrat des Dienstaufsichtsbezirks 4 im Gebäude seinen Dienstort, weiters der Sachbearbeiters für den Reichkriegsanwalt und die Korps- bzw. Divisions-Stab und -Kommandantur in ihrer Funktion als Gerichsherren.
 
Der Platzbedarf des Gerichtes der Division 177 war mit Sicherheit hoch, da es erstinstanzlich urteilte und daher auch alle weiteren Verfahrensschritte – bis hin zur Korrespondenz mit Wehrmachtgefängnissen und Feldstrafgefangenenabteilungen über den Strafvollzug – zu überwachen hatte. Es ist anzunehmen, dass die Einrichtung eines zweiten Gerichtsstandortes am Loquaiplatz zwischen 1940 und 1942 dem immer dramatischer werdenden Platzmangel am Stubenring geschuldet war, während die Übersiedlung einer Abteilung des Gerichtes in die Hohenstaufengasse wohl durch die Konzentrierung auf die Verfolgung der sogenannten Selbstverstümmlerseuche begründet wurde.
 
Der ebenfalls am Stubenring 1 angesiedelte Oberstkriegsgerichtsrat des Dienstaufsichtsbezirks (DAB) 4 war in Gerichtsbelangen für die Wehrkreise XVII und XVIII zuständig. Er koordinierte den Aufbau der NS-Militärjustiz in den Wehrkreisen XVII und XVIII, wozu nicht nur die Klärung und Organisation von Abläufen und Zuständigkeiten zählte, sondern auch die Auswahl, Bestellung und Zuteilung von Richtern. Im ersten Halbjahr 1943 war der Oberstkriegsgerichtsrat im DAB 4 für mindestens fünf Gerichte und über 60 Richter in sieben Städten zuständig.
 
Generäle des österreichischen Bundesheeres werden 1938 im Marmorsaal des Kriegsministeriums, der später dem Gericht als Verhandlungssaal diente, in die Wehrmacht übernommen und vereidigt. (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

Generäle des österreichischen Bundesheeres werden 1938 im Marmorsaal des Kriegsministeriums, der später dem Gericht als Verhandlungssaal diente, in die Wehrmacht übernommen und vereidigt. (Bild: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung/Albert Hilscher)

Reichskriegsgericht und Gerichtsherren
Das Reichskriegsgericht (RKG) verfügte über eine fix bestellte Reichskriegsanwaltschaft unter einem Oberreichskriegsanwalt. Vorarbeiten und -erhebungen zu RKG-Verfahren betreffend die Wehrkreise XVII und XVIII vor dem RKG wurden in Wien erledigt. Dabei kamen verschiedene Richter als (Rechts-)Gutachter und Untersuchungsführer zum Einsatz.
 
Am Stubenring 1 residierten weiters die Befehlshaber – und damit die Gerichtsherren – des Wehrkreises XVII. Diese Funktion wurde zwischen 1938 und 1945 von vier Generalen ausgeübt – Werner Kienitz, Otto von Stülpnagel, Alfred Streccius und Albrecht Schubert.
 
Als letzte Behörde, die am Stubenring 1 mit der Verfolgung von militärischen Delikten befasst war, ist die Abwehrstelle XVII (ASt XVII) zu nennen, die als militärischer Geheimdienst eigentlich für Spionageabwehr zuständig war und im 4. Stock untergebracht war. Sie brachte Verfahren ins Rollen, indem sie verdächtige Wehrmachtsangehörige bei der Wehrmachtsstreife oder direkt bei Gericht anzeigte, und gab im weiteren Verlauf dieser Verfahren auch politische Einschätzungen zu den Beschuldigten ab.
 
Der „heldenhafte Offizierswiderstand“ am Stubenring
Das ehemalige Kriegsministerium spielte sowohl bei der Operation „Walküre“ als auch bei den späteren Aktionen „Herbstlaub 44“ und „Radetzky“ des militärischen Widerstands eine Rolle. Nach dem Scheitern von „Walküre“ (also der geplante Putsch nach einem gelungenen Attentat auf Adolf Hitler) konzentrierte man sich auf die von Major Carl Szokoll, Ordonnanzoffizier beim Stv. Generalkommando des XVII. A.K. am Stubenring 1, für Herbst 1944 (daher der Name „Herbstlaub 44“) erwartete Befreiung durch die Alliierten. Daraus wurde aber nichts, und so sandte Szokoll Anfang April 1945 im Rahmen der „Operation Radetzky“ seinen Vertrauten, Oberfeldwebel Ferdinand Käs, zur Roten Armee, um Unterstützungsmöglichkeiten bei der bevorstehenden Besetzung Wiens zu besprechen. Die Kollaboration wurde jedoch verraten, SD und SS stürmten den Stubenring – das vermeintliche Zentrum des militärischen Widerstands – und die Rote Armee musste Wien allein befreien.
 
Befreiung 1945
Der Stubenring 1 war schon im März 1945 von einer Bombe getroffen worden und wurde in den letzten Kriegstagen auch noch Opfer eines Großbrandes. Dennoch koordinierte das Wehrkreiskommando von hier aus in Absprache mit der Stadtkommandantur in der Universitätsstraße 7 die Verteidigung der Stadt und die Evakuierungsmaßnahmen der Wehr- macht.
 
Nach 1945
Das Gebäude wurde 1946 an die Republik zurückgestellt. Es war so schwer beschädigt, dass man eine Komplettabtragung erwog aber verwarf. Die Wiederherstellung und Erweiterung des Bauwerkes um zwei Etagen dauerte drei, die Rekonstruktion der Inneneinrichtung weitere zehn Jahre. Schließlich entpuppte sich das Haus als zu groß für die militärischen Bedürfnisse der Zweiten Republik, weshalb das Amt für Landesverteidigung, die Übernahme ablehnte. Der Gebäudekomplex steht heute im Besitz des Wirtschaftsministeriums, wird von der Burghauptmannschaft Österreich verwaltet und dient, drei Bundesminister:innen als Amtssitz.
 
Aufarbeitung und Gedenken
Lange Zeit spielte die Darstellung der Gebäudegeschichte mit Bezug auf die Verwendung während dem Nationalsozialismus für die das Gebäude nützenden Ministerien keine Rolle. Anschluss, Funktion für die Miltärjustiz oder für die nationalsozialistischen Angriffskriege kamen nicht vor. Seit 2010er Jahren kommt es zu einem schrittweisen Umdenken – Ministerien stellen sich der Gebäudegeschichte umfassender. Am 23. Jänner 2023 wurde durch die Bundesminister:innen Alma Zadić, Johannes Rauch, Norbert Totschnig und Martin Kocher eine Gedenktafel am Gebäude enthüllt, die die NS-Geschichte des Gebäudes umfassend darstellt.
 
 Seit Jänner 2023 hängt eine Gedenktafel am Regierungsgebäude Stubenring (Bild: Lorenzo Vincentini)

Seit Jänner 2023 hängt eine Gedenktafel am Regierungsgebäude Stubenring (Bild: Lorenzo Vincentini)

Gericht der Division 177, Standort Hohenstaufengasse

Gericht der Division 177, Standort Hohenstaufengasse

Im Gebäude Hohenstaufengasse 3 befand sich ab Ende 1943 bis zur Befreiung ein Gericht der NS-Militärjustiz. Es war Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, u.a. verfolgte.

Briefkopf des Gerichts der Divison 177, Standort Hohenstaufengasse 3 (Quelle: DÖW)

Briefkopf des Gerichts der Divison 177, Standort Hohenstaufengasse 3 (Quelle: DÖW)

Geschichte vor 1938
Das Gebäude Hohenstaufengasse 3 wurde von Otto Wagner in den Jahren 1882-1884 für die Zentraleuropäische Länderbank errichtet. Es gilt als hervorragendes Beispiel für das Frühwerk des berühmten Jugendstilarchitekten und findet daher in zahlreichen Architekturlexika Erwähnung. Die Länderbank verkaufte das Haus im Sommer 1938 an das Deutsche Reich. Die Wehrmacht ließ sogleich Modernisierungen durchführen, einige Zeit nutzten auch andere Stellen das Gebäude, darunter das Ministerium für Landwirtschaft. Der große, helle Kassensaal und die Tresorräume im Keller bestehen bis heute.


NS-Militärjustiz
Das Feldkriegsgericht der Division 177 besaß in Wien bereits zwei Standorte, am Stubenring und Loquaiplatz. Ende 1943 wurde ein dritter Standort in der Hohenstaufengasse 3 eingerichtet. Man kann davon ausgehen, dass der Standort und die neue Abteilung III eigens zur Verfolgung des ‚Selbstverstümmler-Unwesens‘, das dem Divisionsrichter Karl Everts ein ideologischer Dorn im Auge war, eingerichtet wurden. Die geografische Nähe zu den Verhörräumlichkeiten in der Roßauer Kaserne und zum Gericht der Wehrmachtskommandantur Wien in der Universtitätsstraße boten zusätzliche Vorteile gegenüber der Mariahilfer Hauptstelle. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten insgesamt rund 17 Richter am Gericht der Division 177.


Jagd nach „Selbstverstümmlern“
Die nunmehrige Abteilung III des Gerichts der Division 177 unter der Leitung von Karl Everts führte vor allem einen unerbittlichen Kampf gegen Selbstverstümmler. Man war bei Gericht der Überzeugung, dass durch absichtlich beigefügte Verletzungen und Selbstansteckungen, falsche Krankmeldungen oder mutwilliger Verlängerung von Heilungsprozessen in Wien massenweise der Dienst in der Wehrmacht verweigert wurde.

Karl Everts, der schon vor dem Krieg als Richter beim Gericht der 2. Panzer-Division in Wien stationiert gewesen war, baute in Zusammenarbeit mit der Fahndungsgruppe 200 der Heeresstreife ein engmaschiges Netzwerk der Verfolgung auf, das sich anfangs auf bestimmte Formen von Knochenbrüchen und Kniegelenksverletzungen konzentrierte, schon bald aber jede vermutete Selbstverstümmelung untersuchte.

Die Fahndungsgruppe 200 lieferte Everts im Frühsommer 1944 zwar erste Hinweise auf systematisch betriebene Selbstverstümmelungen, es fehlten aber die Beweise. Dies änderte sich, als es Everts im Juli 1944 gelang, einen Denunzianten, dem er Strafmilderung versprochen hatte, in das Reservelazarett XIa in der Boerhavegasse in Wien-Landstraße einzuschleusen. Es wurde in Folge ein Netzwerk aus Denunziant:innen und Spion:innen aufgebaut, welche häufige Treffpunkte wie Schwimmbäder und Kaffeehäuser bzw. Tatorte wie Lazarette ausspähten. Zusätzlich kontrollierte die Heeresstreife vermehrt die Reservelazarette in Wien, um dort sowohl medizinisches Personal als auch Patienten unter Druck zu setzen und zu Denunziationen anzustiften.

Um sich selbstverletztende Soldaten zu finden war jedes Mittel Recht, auch explizit Folter. So meinte Everts in einer Urteilsbegründung:

„Wenn zeitlich und örtlich bestimmte Verletzungen geradezu seuchenartig auftreten, die am Marke und an der Wehrkraft eines Volkes, welches einen Kampf auf Leben und Tod führt, rütteln, dann müssen und können auch gegebenenfalls Mittel zur Anwendung gebracht werden, die geeignet sind, derartige Verbrecher zum Sprechen zu bringen. Bei der Auswahl der Mittel kann naturgemäß nicht jener Maßstab angelegt werden, wie er in Friedenszeiten üblich ist.“



Um die Kommunikation zwischen Hohenstaufengasse und Roßauer Kaserne zu vereinfachen, wo die Wehrmachtsstreife mit der Aufgabe betraut war, mit Verhören und Folterungen zu den erwünschten Geständnissen zu kommen, wurde ein Mitarbeiter des Gerichts direkt in der Kaserne stationiert.

Bereits am 4. August 1944 ging Everts davon aus, mindestens achtzig Fälle von Selbstverstümmelung zur Verhandlung bringen zu können. Die Anklagepunkte, die Everts ab Oktober 1944 verschriftlichte, basierten zu einem Großteil auf durch Folter erpressten Geständnissen, da die meisten Ärzte sich weigerten, tendenziöse Gutachten auszustellen, die die Anklage unterstützten. Zwischen 23. Oktober und 19. Dezember 1944 wurden jedenfalls 68 Personen, Frauen und Männer, wegen Selbstverstümmelung oder Beihilfe zur Selbstverstümmelung verurteilt, 27 von ihnen zum Tode, die übrigen Angeklagten erhielten insgesamt 378 Jahre Zuchthaus. 14 der zum Tode Verurteilten wurden am 7. Februar 1945 am Militärschießplatz Kagran erschossen. Everts leitete und organisierte diese Hinrichtungen.

Durchhalten in der Hohenstaufengasse
Noch am 15. Februar 1945, also zwei Monate vor der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, führte Karl Everts Verfahren gegen Selbstverstümmler. Die Richter in der Hohenstaufengasse 3 hielten sogar in den letzten Tagen bis zur Befreiung den Dienstbetrieb aufrecht. Dieser bestand zu diesem Zeitpunkt vor allem daraus, verurteilte Soldaten zur „Frontbewährung“ zu schicken, also der Österreich vom Osten her befreienden Roten Armee entgegenzuschicken. Erst rund um den 4.4.1945 dürften sich auch die letzten Richter nach Oberösterreich abgesetzt haben.

Der historische Gerichtssaal des Divisonsgerichts dient heute als Sitzungszimmer (Quelle: Alexander Wallner)

Der historische Gerichtssaal des Divisonsgerichts dient heute als Sitzungszimmer (Quelle: Alexander Wallner)

Nach 1945
Das Gebäude fiel als „Deutsches Eigentum“ der Republik Österreich zu. In den ersten Jahren wurde es von den verschiedenen militärischen Stellen verwendet, dem folgte (wie am Otto-Wagner-Platz) das Zentralbüro des European Recovery Program (ERC, „Marshall-Plan“). Nach dessen Auslaufen nutzten verschiedene Bundesstellen (Bundesverlag, Lehrmittelstelle, Fremdenverkehrswerbung, Archiv des Innenministeriums, usw.) das Gebäude. Seit 1994 wurde es vom Bundeskanzleramt (Sektion III) genutzt, seit 2018 ist es Teil des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS). Der ehemalige Gerichtssaal ist heute ein Sitzungszimmer.


Aufarbeitung und Gedenken
Lange Zeit spielte die Darstellung der Gebäudegeschichte in Bezug auf die Verwendung während dem Nationalsozialismus für die das Gebäude nützenden Ministerien keine Rolle. Seit den 2010er Jahren wurde durch zivilgesellschaftliche Kampagnen die Geschichte des Gebäudes in der Öffentlichkeit thematisiert. So wies Richard Wadani, Wehrmachtsdeserteur und Ehrenobmann des Vereins ‚Personenkomitee Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz‘ am 13.8.2009 bei einer Pressekonferenz vor Ort auf das fehlende Gedenken hin:

Heldendenkmäler gibt es überall, aber an die Opfer erinnert nichts.



Am 6.9.2009 brachte eine vergangenheitspolitische Initiative namens ‚AK Denkmalpflege‘ während eines aktionistischen Stadtspazierganges eine temporäre Gedenktafel mit folgender Aufschrift am Gebäude an:

Hier, auf dem NS-Feldkriegsgericht für Wien von 1943-1945, hängt [k]eine Gedenktafel für die Verfolgten und Ermordeten der NS- Militärjustiz.



Am 12. Jänner 2024 wurde von Vizekanzler und Bundesminister Werner Kogler, in Anwesenheit der Bundesminister:innen Alma Zadić und Johannes Rauch, der zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures, sowie Bezirksvorsteher Markus Figl, eine Gedenktafel am Gebäude enthüllt, die auf die NS-Geschichte des Gebäudes verweist. Im Rahmen der feierlichen Enthüllung spielte das Ensemble der Gardemusik Wien das Moorsoldatenlied.

Fallbeispiele

Gericht Div. 177, Loquaiplatz

Briefkopf Gericht der Division 177, Standort Loquaiplatz. Bildquellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Gericht der Division 177, Standort Loquaiplatz

Im Gebäude Loquaiplatz 9 befand sich ab 1939 bis zur Befreiung ein Gerichts der NS-Militärjustiz. Es war Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Geschichte vor 1938
Die Geschichte des Gebäudes am Loquaiplatz 9 (mit Fronten zur Königsegggasse 10 bzw. Otto-Bauer-Gasse 7-9, damals: Kasernengasse 7-9) ist eng mit der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung verbunden. Deren Einrichtungen litten unter Platznot, weswegen für die Arbeiter-Krankenkasse das Gebäude errichtet und 1904 bezogen wurde. Das Haus war während der Ersten Republik deshalb auch Angriffen ausgesetzt, etwa im September 1932 während des Wiener NSDAP-Gauparteitages.
Das Haus bezog 1934 – nach dem Verbot aller sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen – die austrofaschistische Einheitsgewerkschaft und eine Soldatenorganisation.

Nach dem „Anschluss“
Direkt nach dem „Anschluss“ Österreichs übernahm die Deutsche Arbeitsfront (DAF)  das Gebäude. Bald darauf meldete die Wehrmacht Verwendung an, welche zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach Gerichts- und Haftgebäude war. Noch 1939 übersiedelten Teile des Gerichts der Division 177 aus der Zentrale am Stubenring ins Gebäude Loquaiplatz 9.

Verfügung des Gerichts der Division 177, Standort Loquaiplatz 9 über die Vorführung eines Verdächtigen zur Hauptverhandlung (Quelle: DÖW)

Verfügung des Gerichts der Division 177, Standort Loquaiplatz 9 über die Vorführung eines Verdächtigen zur Hauptverhandlung (Quelle: DÖW)

Nutzung durch die Wehrmachtsjustiz
Im Gebäude fanden Richter und ihre MitarbeiterInnen sowie Gerichtsherren und ihre Stäbe Platz. Man nützte dazu zwei Etagen (erster Stock und Hochparterre) als Gerichts- und Büroräumlichkeiten, die Etagen darüber als Wohnungen. Zumindest 1944 diente der Standort am Loquaiplatz als „Hauptstelle“ der Division 177. Diese verfügte zu diesem Zeitpunkt über drei Standorte in Wien und eine in Brno/Brünn, elf bis 17 Richter sprachen an diesen Recht.
Unter den am Mariahilfer Standort tätigen Militärrichtern war Karl Everts, Leopold Breitler und Erich Schwinge, ein zentraler Kommentator des NS-Militärstrafrechts und nach dem Krieg Apologet der Wehrmachtjustiz.

Ansicht des Gebäudes heute (jedoch noch ohne Gedenktafel), Ecke Loquaiplatz und Königsegggasse (Bild: Alexander Wallner)

Ansicht des Gebäudes heute (jedoch noch ohne Gedenktafel), Ecke Loquaiplatz und Königsegggasse (Bild: Alexander Wallner)

Urteilsbestätigung durch Gerichtsherren
Die der Militärgerichtsbarkeit zugrundeliegende Logik verlangte eine Bestätigung jedes Urteils durch den Gerichtsherren. Der Loquaiplatz war einer jener Dienstorte von Gerichtsherren, an denen die Urteile – von der Arreststrafe bis zum Todesurteil – wirksam und gültig wurden. Für die meisten Verfahren der Division 177 war dies Generalmajor Erich Müller-Derichsweiler.

Gedenktafel, Loquaiplatz (Quelle: privat)

Gedenktafel, Loquaiplatz (Quelle: privat)

Nach 1945
Über die Befreiung des Gerichtsgebäudes ist nichts bekannt. 1948 wurde das Gebäude an den ÖGB restituiert, 1961 erwarb es die Stadt Wien. Heute beherbergt es neben zahlreichen Wohnung etwa auch die SPÖ-Mariahilf und ein städtisches Haus der Begegnung. Seit 2013 weist eine Erinnerungsstafel des Bezirks auf die Geschichte und Funktion des Gebäudes hin.

Fallbeispiel:
Johann Wimmer wurde vom Gericht am Loquaiplatz 9 im Jahr 1943 wegen Fahnenflucht als 20jähriger zum Tode verurteilt. Zwei Personen, die Wimmer halfen, ihn versteckten und mit Essen versorgten, wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Link zur Biografie von Johann Wimmer (DÖW)
Link zum Urteil gegen Johann Wimmer (samt Adressangabe Loquaiplatz 9)

Gerichte Schwindgasse

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Schwindgasse 8 – Luftwaffen-Gericht und Reichkriegsgericht

Im Gebäude Schwindgasse 8 bestand ab 1938 ein großes Luftwaffen-Gericht, später auch eine Außenstelle des Reichkriegsgericht. Als Gerichte der NS-Militärjustiz war sie Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Briefkopf eines Schreibens des Gerichts des Luftgaus an eine Wiener Haftanstalt, 1942 (Quelle: DÖW)

Briefkopf eines Schreibens des Gerichts des Luftgaus an eine Wiener Haftanstalt, 1942 (Quelle: DÖW)

Einrichtung Gericht des Luftgau
Direkt nach dem „Anschluss“ 1938 bezog in der Schwindgasse 8 das Luftwaffen-Gericht Quartier. Dabei war die örtliche Nähe zu anderen hohen Stellen der Luftwaffe (Luftflottenkommando 4 am Schwarzenbergplatz, Luftgaukommando XVII am Schillerplatz) vorteilhaft. Das Gericht firmierte seit 1938 unter der Bezeichnung „Feldgericht des Luftgaus XVII“, später auch als „Feldgericht des kommandierenden Generals und Befehlshabers im Luftgau XVII“.

Zuständigkeit und Größe
Der Luftgau XVII war sehr groß und bestand aus einem Gutteil des heutigen Österreichs und der heutigen tschechischen Republik. Alle Angehörigen der Luftwaffe – Offiziere, Soldaten sowie etliche ZivilistInnen – unterstanden dem Luftgau-Gericht so nicht speziellere oder direktere Gerichte zuständig waren. Das Gericht unterhielt auch Außenstellen, etwa in Linz und Brno. Teilweise arbeiteten bis zu acht Richter gleichzeitig an diesem Gericht, ein Dienstaufsichtsrichter führte es. Urteil des Gerichts mussten von Gerichtsherren – den jeweiligen Luftwaffen-Kommandanten – unterzeichnet werden, die meisten saßen örtlich in den oben genannten Kommandanturen.

Ausschnitt aus einer Verfahrensverfügung gegen Angehörige einer steirischen Widerstandsgruppe (OFF) zu einer Verhandlung in der Schwindgasse 8, 1944 (Quelle: DÖW 21062/85C)

Ausschnitt aus einer Verfahrensverfügung gegen Angehörige einer steirischen Widerstandsgruppe (OFF) zu einer Verhandlung in der Schwindgasse 8, 1944 (Quelle: DÖW 21062/85C)

Reichskriegsgericht
Das Reichskriegsgericht (RKG) bestand in Berlin seit 1936, nach dem „Anschluss“ 1938 dehnte es seine Zuständigkeit auf Österreich aus. Bis zum Kriegsbeginn 1939 war es vor allem für Revisionsverfahren, nebst Verfahren wegen Hoch- und Landesverrat, zuständig. Manche seiner Entscheidungen waren richtungsweisend und verbindlich für andere Kriegsgerichte. Mitte August 1943 wechselte der Gerichtssitz von Berlin nach Torgau. Der 1941 eingerichtete 4. Senat des RKG tagte spätestens ab Herbst 1944 teils in der Schwindgasse in Wien. In mehr als 10.000 Fällen wurde vom RKG Ermittlungen geführt, rund die Hälfte dann auch angeklagt.

Zuständigkeiten des Reichskriegsgerichts
Das RKG war für bestimmte Delikte zuständig, egal ob von Soldaten oder ZivilistInnen verübt. Es war vor allem zuständig für die Delikte des Hochverrats, Landesverrats, Kriegsverrats, bei Angriffen auf den Führer und Reichskanzler, bei bestimmten Fällen der Wehrkraftzersetzung . Besonders viele Fälle religiöser und politischer (Kriegsdienst)Verweigerung landeten beim RKG.

Urteilspraxis des Reichskriegsgerichts
Von den 1189 verhängten Todesurteilen wurden 1049 vollstreckt, die meisten wegen Spionage (340), Landesverrat (313) und Zersetzung der Wehrkraft (313); ferner betrafen die Urteile mehr Zivilpersonen als Militärangehörige (689 zu 500), die meisten Militärangehörige waren wiederum Teil des Heeres. (422)

Bulgarische Botschaft heute (Bild: Mathias Lichtenwagner)

Bulgarische Botschaft heute (Bild: Mathias Lichtenwagner)

Auflösung beider Gerichte
Ende März 1945 wurde das Luftwaffengericht nach Oberösterreich verlegt, es bezog in Linz und Stadl-Paura bei Lambach Quartier. Wahrscheinlich wurde auch das Reichskriegsgericht zum gleichen Zeitpunkt aus der Schwindgasse abgezogen. Gegen Richter und Bedienstete des Luftwaffen-Gerichts in der Schwindgasse wurde 1945 ein Ermittlungsverfahren nach dem Kriegsverbrechergesetz geführt, bis Mitte 1947 jedoch alle Beschuldigten enthaftet und alle Verfahren eingestellt. Die Richter gaben zwar zu Protokoll, dutzende Todesurteile gegen Deserteure und Wehrkraftzersetzer gesprochen zu haben – das blieb für sie aber ohne Konsequenzen.

Die diplomatische Vertretung Bulgariens nutzt seit 1957 das Gebäude.

Fallbeispiel:
Karl und Edgar Ulsamer wurde am 11.März 1945 vom Reichskriegsgericht in der Schwindgasse zum Tode verurteilt, während der Evakuierung des WUG X gelang ihnen jedoch die Flucht.

WUG XXI – Floridsdorf

Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Floridsdorf (WUG XXI)

In Wien wurden von der Wehrmachtsjustiz fünf Gefängnisse betrieben: Die Zentrale (WUG X) befand sich in Wien-Favoriten, die erste und größte Nebenstellen war in Wien-Floridsdorf eingerichtet. Es war Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.  Das historische Gebäude wird auch heute noch als Gefängnis genutzt.

Bezirksgericht (rechts, Altbau) und Justizanstalt (links, moderner Bau), 2012. (Quelle: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Bezirksgericht (rechts, Altbau) und Justizanstalt (links, moderner Bau), 2012. (Quelle: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Geschichte vor 1938
Das markante und große Gebäude wurde 1896 errichtet. Es beherbergte als Amtsgebäude Bezirksgericht samt Gefangenenhaus, Polizeistation und Magistratisches Bezirksamt, zudem mehrere Wohnungen. 1905 wurde Floridsdorf ein Wiener Bezirk, das Gefangenenhaus mehrmals erweitert und erneuert – es besaß 1938 zumindest 23 Zellen.

Übernahme der Wehrmachtsjustiz
Die Wehrmachtsjustiz verfügte direkt nach dem „Anschluss“ 1938 über zu wenig Hafträume, weswegen man Gefangenenhäuser der zivilen Justiz übernahm. Das Gefängnis in der Gerichtsgasse war das Erste, noch 1938 wurden hier Soldaten inhaftiert. Zum größten Teil betraf dies Soldaten der Luftwaffe. Das Gefängnis firmierte unter dem Titel „Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Floridsdorf“ oder „Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis XXI“ sowie teils auch als „Luftwaffen-Standortarrestanstalt“.

Nutzen und Netzwerk
Einerseits wurden im WUG XXI Soldaten von ihren militärischen Verbänden bei Verdacht selbst oder von Wehrmachtsstreife und anderen NS-Behörden, etwa der Polizei oder Gestapo, eingeliefert. Andererseits verbrachten Soldaten hier auch nach ihrer Verurteilung durch die Gerichte in der Innenstadt ihre Haft- bzw. Arreststrafen oder die Zeit bis zum Weitertransport in andere Anstalten des Strafvollzugs. Wie viele Soldaten das Gefängnis von 1938 bis 1945 durchliefen ist nicht exakt bestimmbar, vorsichtige Hochrechnungen ergeben weit über 1.000 Gefangene.

Blick aus dem Gefängnis-Spazierhof auf den historischen Teil des Gefangenenhauses, 2012. (Quelle: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Blick aus dem Gefängnis-Spazierhof auf den historischen Teil des Gefangenenhauses, 2012. (Quelle: Privatarchiv Mathias Lichtenwagner)

Befreiung und Nutzung nach 1945
Die Gegend um das Gefängnis stand, bedingt durch die vielen Firmen und die Remise, im Fokus der taktischen Flugangriffen der Alliierten, wovon auch der nicht-vollendete FlAK-Bunker gegenüber dem Gefängnis zeugt. Teile des Gebäudes wurden auch durch Bomben getroffen, wahrscheinlich aber nicht der Gefängnistrakt. Es ist nichts über die Befreiung des Gefängnisses selbst bekannt, wahrscheinlich wurden die Gefangenen wie in den anderen Wehrmachtsgefängnissen rechtzeitig Richtung Westen „evakuiert“. Die Hinrichtung der Offiziere Alfred Huth, Rudolf Raschke und Karl Biedermann am 6.4.1945 am nahen Floridsdorfer Spitz durch SS bzw. SD hat nichts mit der Haftanstalt zu tun. Der Bezirk selbst wurde erst Mitte April 1945 vollständig von der Wehrmacht befreit. Das Gefängnis wird seit 1997 als Außenstelle der Justizanstalt Mittersteig verwendet.

Fallbeispiel
Erich Salda wurde in der Rossauer Kaserne verhört, saß dann bis zu seiner Verurteilung vor dem Gericht der Div. 177 am 27.10.1944 im WUG XXI ein. Er wurde am 7.2.1945 am Hinrichtungsplatz Kagran mit anderen wegen mehrfacher Selbstverstümmelung erschossen: Einmal verletzte er sich selbst absichtlich um nicht mehr dienen zu müssen, zweimal half er Kameraden – Link Erschießung (DÖW)Link Foto Erich Salda (DÖW)

Albrechtskaserne (WUG II)

Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Albrechtskaserne (WUG II)

In Wien wurden von der Wehrmachtsjustiz fünf Gefängnisse betrieben: Die Zentrale (WUG X) befand sich in Wien-Favoriten, wegen Platznot wurde auch in der Albrechtskaserne in Wien-Leopoldstadt ein Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis eingerichtet. Es war Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte.

Teil der Albrechtskaserne (ca. 1900) in Wien-Leopoldstadt (Lizenz: abgelaufen, frei nutzbar, wikimedia-common)

Übernahme durch Wehrmacht und Wehrmachtsjustiz
Nach dem „Anschluss“ 1938 übernahm die Wehrmacht alle Bundesheer-Kasernen, so auch die Albrechtskaserne. Da die Wehrmachtsjustiz nur über ungenügende Hafträume verfügte wurde ein Teil der nach dem Überfall auf Polen leeren Kaserne zum Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis umgebaut.

Nutzung
In das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Albrechtskaserne kamen vor allem verurteilte Soldaten, hingegen kaum Untersuchungs-Häftlinge. Die verurteilten Soldaten sahen entweder einer Verbringung in den sonstigen Wehrmachtsstrafvollzug oder an die Front zur „Frontbewährung“ entgegen – beides mit ungewissem und oft tödlichem Ausgang. Rund zehn Prozent der von Wiener Gerichten verurteilten Personen kamen zumindest kurz in die Albrechtskaserne, das waren 1938 – 1945 mehrere Tausend Personen.

Befreiung und Nutzung nach 1945
Über die Befreiung der Kaserne im April 1945 ist nichts bekannt, bis 1955 war die Kaserne unter sowjetischer Verwaltung. 1955 bezog das Bundesheer und auch Stellen des Verteidigungsministeriums das Gebäude, die Bezeichnung der Kaserne bzw. Amtsgebäude wechselte des Öfteren. Seit 1979 befinden sich die Wiener Stellungskommission am Gelände der Kaserne. Seit Jahren wird über den Verkauf der ehemaligen Kaserne berichtet – der aktuelle bauliche Zustand der Gebäude macht dies sehr wahrscheinlich (Link extern).

Fallbeispiele:
Der 20jährigen Deserteur Johann Wimmer, dem die Flucht aus der Arresthaft in der Albrechtskaserne gelang, danach vom Gericht am Loquaiplatz verurteilt und im Wiener Landesgericht hingerichtet wurde:
Link zu seiner Biografie (DÖW)
Link zum Feldurteil gegen ihn (DÖW)

Enthüllung des Deserteurs- und Widerstandsmahnmals in Bregenz

Dem 2014 in Wien errichtetem Deserteursdenkmal folgt am 14.11.2015 ein ebensolches 500 Kilometer weiter im Westen, in der Landeshauptstadt Bregenz. Das Denkmal wird offiziell als “Widerstandsmahnmal” geführt, wobei Deserteure und Opfer der NS-Militärjustiz darunter subsumiert werden. Errichterin des Denkmals sind die Landeshauptstadt Bregenz und das Land Vorarlberg.

Aus der Einladung: (Quelle)

Einladung Enthüllung des Widerstandsmahnmals
Die Landeshauptstadt Bregenz und das Land Vorarlberg laden zur Enthüllung des Widerstandsmahnmals am Samstag, den 14. November 2015, um 10.30 Uhr am Sparkassenplatz ein.

Begrüßung — Stadträtin Mag. Judith Reichart
Grußworte — Landtagspräsident Mag. Harald Sonderegger
Grußworte — Landesrat Johannes Rauch
Rede — Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Ágnes Heller | „Eine Welt, die Helden braucht“
Enthüllung — Bürgermeister Dipl.-Ing. Markus Linhart
Musikalische Umrahmung:
Blechbläserquintett des Ensemble 9 der österreichischen Militärmusik
Musikschule Bregenz mit Werken von Paul Hindemith, Arnold Schönberg und Kurt Weill

Voransicht und Fotomontage des Denkmals - Quelle: <a href="http://www.kulturzeitschrift.at/kritiken/aktuell/natasa-siencnik-gestaltet-widerstandsmahnmal-in-bregenz">Link Kulturzeitschrift.at</a>

Voransicht und Fotomontage des Denkmals – Quelle: Link Kulturzeitschrift.at

Der Entwurf für das Denkmal stammt von Nataša Sienčnik, ihr Entwurf wurde im April 2015 aus 150 Einreichungen ausgewählt. Das Denkmal – links als Fotomontage – besteht im Kern aus einer Fallblattanzeige, welche Namen und Biografien VorarlbergerInnen zeigen, die Teil des Widerstands wurden oder vom NS-Regime verfolgt wurden.

Hinzuweisen wäre noch auf das umfassende Begleitprogramm, dass sich das Land Vorarlberg leistet, bestehend aus nicht weniger als dreizehn einzelnen Veranstaltungen, die in das Thema einführen und auch genügend Raum geben, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Link zur Liste des Begleitprogramms.

Nach der Eröffnung werden wir noch Foto vom tatsächlichen Denkmal ergänzen.

Aus aktuellem Anlass: Tod des Wehrmachtsdeserteur David Holzer

Am Montag, 17. Mai 2015, ist der ehemalige Wehrmachtsdeserteur David Holzer im Alter von 92 Jahren verstorben. Wir haben einen hochgeschätzten und lieben Freund verloren.

Als der Nationalrat am 21. Oktober 2009 das Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz beschloss und damit erstmals in der Zweiten Republik den Wehrmachtsdeserteuren explizit Anerkennung für ihr Handeln aussprach, war dieses Umdenken ganz wesentlich David Holzer zu verdanken. Er hatte während der politischen Auseinandersetzung um die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in den Jahren zwischen 2002 und 2009 wiederholt und auf beeindruckende Weise öffentlich über seine Entscheidung zur Desertion, über das Leben im Untergrund, seine Verfolgung durch die Wehrmachtsjustiz, die Haft im Strafgefangenenlager Börgermoor, den Tod seines Bruders Alois im Bewährungsbataillon 500 und die Hinrichtung seines Freundes Franz Stolzlechner am Wiener Militärschießplatz Kagran Zeugnis abgelegt. Beide hatten mit ihm im Frühsommer 1943 der Wehrmacht und deren verbrecherischen Kriegsführung den Rücken gekehrt.

David Holzer, aufgewachsen in einer Bergbauernfamilie in der Gemeinde Schlaiten im Osttiroler Iseltal, wurde im Alter von 19 Jahren in die Wehrmacht eingezogen. Geprägt von den christlichen Werten seines Elternhauses und motiviert von einer gründlichen Ablehnung der NS-Ideologie ließ er bei der Vereidigung auf Adolf Hitler in Klagenfurt seine Hand hängen, als alle anderen sie erhoben. Als Soldat des Gebirgsjägerregimentes 139 erlebte er in Finnland eine Massenerschießung von 60 sowjetischen Kriegsgefangenen mit. Das Morden schockierte David Holzer zutiefst. Er sagte dazu in einem Interview im Jahr 2002: „Man hat einen gewissen Widerstand entwickelt. Man hat beim Militär allerhand gesehen, was einem nicht gepasst hat. Die rabiate Weise mit den Gefangenen und die Unmenschlichkeit im Gesamten. Dann ist man auf den Gedanken gekommen, da machen wir nicht mehr mit.“

Auf einem Heimaturlaub in Schlaiten entschlossen sich David und Alois Holzer mit Franz Stolzlechner nicht mehr einzurücken. Stattdessen bauten sie sich in einem unzugänglichen Graben in ihrer Heimatgemeinde ein Versteck. Mit Hilfe einiger Einheimischer und ihrer Familien blieben sie bis Jänner 1944 unentdeckt. Bei einer Besichtigung der Reste des Erdbunkers sagte David Holzer sechs Jahrzehnte später: „Hier habe ich Freiheit verspürt.“ Im Jänner 1944 wurde Franz Stolzlechner von einem Gendarmen gestellt und angeschossen. Unter dem Druck der Gestapo auf ihre Familie stellten sich David und Alois Holzer. David nahm die „Schuld“ an der Desertion auf sich und wurde zum Tode verurteilt, später zu 14 Jahren Haft begnadigt und mit seinem Bruder Alois in das Strafgefangenenlager Börgermoor deportiert. Auf dem Transport wurde David in Wien Zeuge der Deportation von Juden: „Da haben sie die Juden so miserabel behandelt, das war so scheußlich, das hat man nicht ausgehalten.“ In Gesprächen versagte David an solchen Stellen die Stimme. Was er gesehen hatte, erschien ihm unfassbar. Ohne je Literatur über die Shoah und die Konzentrationslager gelesen zu haben, fand er in der Beschreibung der völligen Entmenschlichung ähnliche Worte wie der italienische Auschwitz-Überlebende Primo Levi: „Im Verhältnis zum Lager ist man im Bewährungsbataillon noch ein Mensch gewesen. Man war zwar in einem Himmelfahrtskommando, aber Mensch warst du noch. Im Lager warst Du kein Mensch.“

David und Alois Holzer überlebten Börgermoor. Im November 1944 wurden sie in das Wehrmachtsgefängnis Torgau-Fort Zinna überstellt und dem Bewährungsbataillon 500 zugeteilt – als „Kanonenfutter“ für die Rückzugsgefechte gegen die Rote Armee. Eindrücklich schilderte David Holzer die Exekutionen von Wehrmachtsdeserteuren, denen er vor dem Abrücken an die Front zur Abschreckung beiwohnen musste. Sein Bruder Alois fiel; er überlebte verwundet und wurde von der Roten Armee aufgelesen. Mit Soldaten der Roten Armee erlebte David die Freude über das Kriegsende. Seine Augen funkelten, als er den Jubel der Rotarmisten nachahmte.

Nach seiner Heimkehr stürzte sich David Holzer in die Arbeit auf dem elterlichen Bauernhof und in der Forstwirtschaft. Mit seiner Frau Thekla zog er zehn Kinder groß. Viele Sommer lang bewirtschaftete er seine geliebte Alm. Die Erlebnisse in der Gestapo-Haft, im KZ Börgermoor und in den Fängen der Wehrmachtsjustiz blieben unaussprechbar, ließen ihn jedoch nie los: „Man sinniert da manchmal so leer…, weil man es einfach in einem drinnen hat, das lässt sich nicht wegstecken,“ erklärte er uns. 1981 sah er sich verpflichtet, sich öffentlich zu äußern. In einem Nachruf auf seinen Nachbarn Florian Pedarnig im „Osttiroler Boten“ schilderte er die Geschichte der Desertion und bedankte sich bei ihm für seine schützende Hand: Als Ortsbauernführer hatte sich Pedarnig für die Aufhebung der Todesstrafe gegen David eingesetzt und die Verhaftung der Eltern verhindert. Uns bleibt nicht Vergleichbares aber Ähnliches zu tun: Wir danken David Holzer für sein Vertrauen, für seine Bereitschaft und die Kraft, die Bürde des persönlichen Erinnerns auf sich zu nehmen, um die gesellschaftlichen Blockaden des Erinnerns zu überwinden und Gerechtigkeit für die Wehrmachtsdeserteure zu erreichen – was nichts anderes heißt, als ein Stück weit dem Anspruch einer demokratischen Republik und einer humanen Gesellschaft gerecht zu werden, für die David, Alois Holzer und Franz Stolzlechner ihr Leben eingesetzt haben.

Peter Pirker und Hannes Metzler

für das Personenkomitee Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz

Ein Interview mit David Holzer und ein längerer Text, publiziert im Osttiroler Boten im Jahr 2002, findet sich auf hier.

Parte David Holzer

 

WUG Neubau – Fallbeispiel (Mathias B.)

Fallbeispiel zum WUG VII: Mathias B.

Mathias B. wurde 1914 geboren und wuchs in Schattendorf, einer kleinen Gemeinde nahe der ungarischen Grenze auf. Er besuchte acht Klassen der Volksschule, danach arbeitete er als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und auch im Straßenbau. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, nach zwei Monaten Ausbildung kam er zu den Pionieren. Von seinen Vorgesetzten wurde er als „unsoldatisch“ beschrieben und fasste auch schon nach sechs Wochen eine Strafe aus weil er während dem Wachdienst gesessen statt gestanden ist und so getan hat als wäre seine Waffe kaputt. Wohl wegen seinem Desinteresse für „das Soldatische“ wurde er zeitweise auch als Hilfskoch und Ähnlichem eingesetzt. Nichtsdestotrotz bekam der damals 26-jährige Mathias B. einiges zu sehen: Er machte verschiedene Offensiven der Wehrmacht mit, etwa die Überfälle auf Belgien und auf Frankreich. Später kam er auch in den Osten, also ins besetzte Polen und später auch nach Russland.

Immer wieder befand sich Mathias B. in der „Heimat“, also in Wien oder Umgebung. Von Jänner bis Mai 1942 wurde etwa seine Einheit in Wien aufgefrischt, im Oktober 1943 erkrankte er und bekam Erholungsurlaub in der Nähe seiner Familie. Insgesamt dreimal geriet er deswegen mit der Militärjustiz in Konflikt. An einem Wochenende im März 1942 hatte er Wochenendurlaub, konnte also die Kaserne verlassen. Er reiste nach Wien und traf FreundInnen. Auf der Rückfahrt in die Kaserne bemerkte er, dass er seinen Wehrpass – also das wichtigste Dokument eines Soldaten – verloren hatte. Er fuhr zurück und suchte es im Gebiet rund um den Franz-Josefs-Bahnhof, wo er in einem Hotel geschlafen hatte. Er fand es nicht.

„Der Verlust des Soldbuches beschäftigte mich so sehr, dass ich, ohne sofort eine Meldung zu machen, wieder zurück fuhr. Ich habe am Bahnhof und im Hotel nach dem Soldbuch gefragt. Dass ich das Soldbuch nicht wiederfand, ging mir immer im Kopf herum und ich traute mich nicht einrücken. Ich ging den ganzen Tag durch die Strassen Wiens und habe auch von Montag auf Dienstag nicht geschlafen. Ich bin immer herumgelaufen, wie ein Irrsinniger.“

Zu diesem Zeitpunkt war seine Abwesenheit in der Kaserne längst angezeigt worden, die Maschinerie der Wehrmachtsjustiz suchte nach ihm. Da ihn mehrere Mitsoldaten gesehen hatten („B., der auf mich den Eindruck eines vollkommen verstörten Menschen machte, sagte bloss ich solle ihn…. Ich sah, dass mit B. nichts anzufangen war und stieg wieder in die Strassenbahn ein.“) war das nicht allzuschwer: Er wurde von der Wehrmachtsstreife verhaftet, verhört, in eines der Wiener Militärgefängnis eingeliefert und am 11.3.1942 vom Gericht der Division 177 zu 5 Wochen geschärften Arrest verurteilt. Das Urteil selbst war tatsächlich recht milde, zum Verhängnis wurde Mathias B. vielmehr, dass das Urteil „zur Frontbewährung ausgesetzt wurde“. Das heißt: Er musste an der Front Dienst tun und an gefährlichen Einsätzen (für die er keine Eignung hatte) teilnehmen.

Bis Ende 1943 gelang es ihm offenbar hier mitzumachen, dann wurde er krank und durfte wieder in die Nähe von Wien um sich zu erholen. Als er wieder an die Front kommen sollte „verlängerte“ er einen Wochenendurlaub um ein paar Tage:

„Ich wollte über Sonntag dort bleiben und am Montag früh um 4 Uhr wegfahren, versäumte aber den Zug und da ich ja ohnehin nicht mehr rechtzeitig zur Truppe kommen konnte, blieb ich noch zu Hause bis ich am Freitag den 4.2.1944 in meiner Wohnung festgenommen wurde.“

Diesmal wurde er ins WUG XIX (Wien-Döbling) eingeleifert und saß dort bis Ende Februar 1943, das Urteil lautete dann auf sechs Monate, er aber sofort wieder zur „Frontbewährung“. Den Transport zur Front verpasste er jedoch, da er – Zufall oder nicht – während der Zugfahrt zur Kaserne krank wurde und wieder zur seiner Frau zurückfuhr. Dort wurde er nun zum dritten Mal festgenommen, diesmal ins WUG VII (Wien-Neubau) gebracht und am 29.3.1944 dann erneut vom Gericht der Division 177 verurteilt. Diesmal musste er seine Frontbewährung aber in einer „Feldstrafgefangenenabteilung“ ableisten. Vom WUG VII wurde er im April 1944 ins das Wehrmachtsgefängnis Glatz überstellt, im Mai dann zur Feldstrafgefangenenabteilung 4.

Schon drei Monate später war er vermisst. Der letzte Eintrag in seinem Akt lautet: „B. ist bei Lapkowa (Estl. Nordfront) am 8.8. vermisst!“. Das Schattendorfer Kriegerdenkmal führt seinen Namen nicht.

Rechtliche Anmerkung: Der Akt zu B. liegt im Östrerreichischen Staatsarchiv. Die Auslegung des Archivgesetzes und des Datenschutzgesetzes durch das Östrerreichische Staatsarchiv lässt es nicht zu den Namen von Mathias B. ganz zu nennen wenn nicht dessen Tod bewiesen ist. Obwohl B. seit 71 Jahren vermisst ist (Stand 2015) gelang es uns nicht bei den betreffenden Stellen in Wien, dem Burgenland und der Heimatgemeinde den verlangten Todesnachweis dem Österreichischen Staatsarchiv beizubringen.

WUG Favoriten – Fallbeispiel (Fam. Ulsamer)

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Fallbeispiel zum WUG X: Familie Ulsamer

Bild von Edgar Ulsamer, darunter seine Verfolgungsgründe: „Desertion, amerikanischer Fallschirmagent“ Bildquellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Bild von Edgar Ulsamer, darunter seine Verfolgungsgründe: „Desertion, amerikanischer Fallschirmagent“
Bildquelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Edgar Ulsamer ist am 23.8.1924 in Wien zur Welt gekommen, sein Eltern waren Karl und Herta Ulsamer. Beim „Anschluss“ Österreichs an Deutschland war Edgar 13 Jahre alt. Er besuchte in Wien die Volksschule, dann ein Realgymnasium, engagierte sich bei der Hitlerjugend. Zu Ostern 1942 bestand er die Matura. Er inskribierte gleich darauf an der Universität Wien um Zeitungswissenschaften zu studieren, wurde aber eingezogen: erst zum Reichsarbeitsdienst, nach seinem 18. Geburtstag im Herbst 1942 zur Wehrmacht. Ausgebildet in einer Nachrichteneinheit kam er Ende 1943 an die italienische Front. Zu diesem Zeitpunkt hatte die US-Armee Italien zu einem großen Teil befreit, am 7. Jänner 1944 wurde Edgar mit seiner Einheit gefangengenommen.

Bild der Mutter von Edgar, Herta Ulsamer.“ Bildquellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Bild der Mutter von Edgar, Herta Ulsamer.“
Bildquelle: wie oben

Im Kriegsgefangenenlager meldete sich Edgar Ulsamer freiwillig, die Alliierten im Kampf gegen Deutschland zu unterstützen. Er wurde in einem Kurs ausgebildet, etwa im Fallschirmspringen, Umgang mit Funkgeräten, Sprengstoff und amerikanischen Waffen. Er war dabei auch mit anderen Österreicher zusammen. Im Herbst 1944 sprang er zusammen mit zwei anderen Österreichern und dem amerikanischen Captain Taylor über dem Neusiedlersee ab, da die drei Österreicher dort Verwandte und Bekannte hatten, von denen sie Unterstützung erwarteten. Ihr Auftrag war, Nachrichten für taktische Flugangriffe zu sammeln und wenn möglich Kontakte zu PartisanInnen aufzunehmen. Edgar traf seine Mutter, welche ihren Sohn mehrfach in den Verstecken um den Neusiedlersee besuchte und Verpflegung brachte. Auch Edgars Vater, Karl Ulsamer, besuchte seinen Sohn – jedoch mit dem Ziel, ihn davon zu überzeugen sich zu stellen. Erst beim zweiten Besuch gab er dieses Vorhaben auf und unterstützte seinen Sohn. Bekannte aus Wiener Neustadt erklärten sich erst bereit die Abgesprungenen aufzunehmen, zeigte sie dann jedoch bei der Polizei an.

Bild von Karl Ulsamer, darunter sein Urteil: „Zum Tode verurteilt“. Bildquellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Bild von Karl Ulsamer, darunter sein Urteil: „Zum Tode verurteilt“.
Bildquelle: wie oben

Die Gestapo nahm sie alle rund um den 30.November 1944 fest. Erst später wurde festgestellt, dass sie der Wehrmachtsjustiz übergeben werden müssten, da Edgar ja Soldat und Karl Offizier war. Nur Herta Ulsamer verblieb durchgehend im Gefangenenhaus des Landgerichts. Edgar befand sich bis 1.März 1945 im Polizeigefangenhaus an der Rossauerlände, kam dann ins WUG X. Die anderen drei befanden sich in anderen Haftanstalten. Am 11.März 1945 wurden Edgar Ulsamer, seine zwei Kollegen und sein Vater vom 4. Senat des Reichkriegsgerichts in Wien (Schwindgasse 8) wegen „Kriegsverrat, Spionage und Fahnenflucht“ zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung war für 4. April 1945 angesetzt, die Rote Armee startete am 6. April 1945 die Befreiung Wiens von Süden her. Schon Tage zuvor wurde daher das Gefängnis evakuiert. Karl und Edgar gelang während der Evakuierung die Flucht. Herta Ulsamer kam am 6.April 1945 frei.

WUG Neubau

Briefkopf eines Schreibens aus dem WUG VII an ein Gericht in der Innenstadt. Bildquellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Neubau (WUG VII)

In Wien wurden von der Wehrmachtsjustiz fünf Gefängnisse betrieben: Die Zentrale (WUG X) befand sich in Favoriten, eine der Nebenstellen war im Bezirk Neubau eingerichtet. Das Gebäude wird heute als Kindergarten und Wohnhaus verwendet.  Es war Teil eines Unrechtsregimes das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer, usw. verfolgte. Seit Mai 2014 trägt es eine Informationstafel das seine Geschichte während der NS-Zeit erzählt.

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Ausschnitt aus einem Plan (etwa 1940), rechte Bildmitte das Gefängnis (rot) eingezeichnet.
Bildquellen: Übersichtsplan ca. 1940 (Ausschnitt), Quelle: Wiener Stadt und Landesarchiv, Kartographische Sammlung, Sammelbestand P4: 4021

Geschichte vor 1938
Das Gebäude war in der Monarchie als „Schottenhof“ bekannt da es immer dem Schottenstift gehörte. 1825/1826 erbaut, war es  Armen- und Versorgungshaus, stiftliches Weinhaus und -keller. Seit 1850 hatte im Gebäude das Bezirksgericht seinen Sitz; es war für die Bezirke Neubau und Mariahilf zuständig. Das Haus verfügte über viele Amtsräume und Gerichtssäle, im Inneren des U-förmigen Baus auch mehrere Arrestzellen. Das Bezirksgericht wurde in die Erste Republik übernommen, ab 1931 kam eine Polizeidienststelle im Haus dazu. Schon 1932 übernahm die Polizei das Gebäude zur Gänze, das Bezirkgericht zog aus. Wohl auch deshalb wurde das Gebäude während der Novemberpogrome 1938 für kurze Zeit von der Polizei genutzt: Gefangen genommene Juden und Jüdinnen, insbesondere aus den Umlandbezirken Mödling und Baden, wurden hier kurzzeitig festgehalten.

 

 

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Ausschnitt aus einem Gebäudeplan, um 1900.
Bildquellen: Archiv M.L.

Baulichkeit
Das Gebäude liegt an der Ecke eines Häuserblocks, Ecke Burggasse und Hermanngasse. Die zwei Haupttrakte wiesen Büroräume und große Gerichtsräume auf – heute sind dort Wohnungen und ein Kindergarten. Im hinteren Teil gab es mehrere Hafträume und Arreste. In der Monarchie boten die Zellen Platz für rund 40 Personen sowie eine Isolierzelle, ob diese Kapazitäten in der Ersten Republik oder im Nationalsozialismus erweitert geworden sind ist unbekannt.

 

 

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Standartisierter Inhaftnahmezettel eines Gefangenen der NS-Militärjustiz. Aufnahme in der Zentrale „Hardtmuthgasse“, dann Übernahme ins WUG VII.
Bildquellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands / www.doew.at

Haftanstalt für die Wehrmacht
Wann genau die Wehrmacht in Neubau ein Gefängnis einrichtete ist unklar, vermutlich erst 1944/1945. Die meisten Häftlinge wurden aus der Zentralen Haftanstalt in Favoriten (WUG X) hierher verlegt. Entweder weil sie auf ihr Gerichtsverfahren oder nach der Verurteilung auf die Verlegung in ein anderes Gefängnis warten mussten. Einige Gefangene wurden auch verurteilt, ihre Strafen aber zur „Frontbewährung“ ausgesetzt: Das bedeutete, dass sie zum Beispiel ohne Ausrüstung an gefährlichen Frontabschnitten Minen räumen oder Verwunderte bergen mussten. Vor solchen Einsätzen kamen die Gefangenen meist für einige Wochen ins WUG II im 2. Bezirk. Auch Todeskandidaten befanden sich in der Hermanngasse: Sie verbrachten hier die letzten Wochen vor ihrer Hinrichtung im Landgericht I oder dem Militärschießplatz Kagran. Auch andere NS-Organisationen, etwa die Gestapo, durften auf das Gebäude und die Gefangenen zugreifen.

Bedeutung
Das WUG VII war eines der vier Nebenstelle im Gefängnis-Netzwerk der Wiener Militärjustiz. Nur wenige Akten zu Verfahren der Wehrmachtsjustiz sind erhalten geblieben. Trotzdem lässt sich sagen, dass viele hundert Wehrmachtshäftlinge in der Hermanngasse 38 einsaßen – Größtenteils wohl Untersuchungs-Häftlinge und Verurteilte, die auf ihren Weitertransport in die verschiedenen Formen des Wehrmachtstrafvollzugs warteten.

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Gedenktafel am Gebäude des ehemaligen WUG VII in Wien-Neubau, Hermanngasse 38. Bildquelle: www.deserteursdenkmal.at

Befreiung April 1945
Über die Tage während der Befreiung ist nichts genaues bekannt. Die Haftanstalt wurde bis Ende März 1945 schrittweise evakuiert, die Gefangenen Richtung Westen getrieben. Ebenso wenig weiß man über den „leitenden Hauptmann“ des WUG VII, Emil Riedel. Nach der Befreiung 1945 übernahm das Schottenstift das Gebäude wieder, es beherbergte Büros, ein katholisches Verbindungsheim und seit 1984/85 einen Pfarrkindergarten. 2010 ließ das Stift das Haus grundlegend umbauen, die ehemaligen Zellen wurden zu Wohnraum umgewandeln. Nach Abschluss der Renovierung brachten am 8.Mai Mai 2014 der Abt des Schottenstiftes (Abt Johannes Jung) und der Neubauer Bezirksvorsteher (Thomas Blimlinger) eine Informationstafel zur Geschichte des Gebäudes an.

 

Fallbeispiel zum WUG Neubau: