Entstehungsgeschichte

Der Beschluss zum Wiener Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz ist der vorläufige Höhepunkt eines Meinungswandels in Österreich. Er hatte seinen Ausgangspunkt im Wesentlichen in der sogenannten Waldheim-Affäre, Mitte der 1980er Jahre. In einer erstmals weitere Teile der Gesellschaft erfassenden Debatte ging es vor allem darum, was “Pflichterfüllung” im Zweiten Weltkrieg für die ÖsterreicherInnen bedeutet hatte – in einem Land, dessen Bevölkerung sich in seiner überwiegenden Mehrheit begeistert dem Deutschen Reich “angeschlossen”, sich nach Kriegsende jedoch fast ebenso geschlossen als Opfer der NS-Herrschaft gesehen hatte.

In den 1990er Jahren wurden diese Auseinandersetzungen fortgeführt durch eine Reihe von politischen und zivilgesellschaftlichen Prozessen, unterstützt und begleitet durch neuere historische Forschungen über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts. Bundeskanzler Franz Vranitzky erklärte 1991 erstmals eine Mitverantwortung Österreichs für die nationalsozialistischen Verbrechen. Der Beitritt Östereichs zur Europäischen Union und die Gründung des “Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus” waren nur zwei von mehreren Entscheidungen, die weitere Differenzierungen vergangenheitspolitischer Diskurse in Gang setzten. Gleichzeitig sorgte 1995 unter anderem die Wiener Station der Wanderausstellung “Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944” für neue Diskussionen um die Rolle der österreichischen Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg; umgekehrt ermöglichten diese vehement geführten Auseinandersetzungen gleichzeitig Fragen nach denjenigen Soldaten, die sich – aus welchen Gründen auch immer – dem verbrecherischen Angriffskrieg der Wehrmacht entzogen hatten.

Um die Jahrtausendwende setzte dann ein intensiver Prozess ein, in dessen Folge die Deserteure, “Wehrkraftzersetzer”, sogenannte Kriegsverräter und ihre UnterstützerInnen gesellschaftlich rehabilitiert wurden. Ausgehend von einer studentischen Initiative zur historischen Erforschung des Themas an der Universität Wien 1998/1999 erfasste die Dynamik der Auseinandersetzung in den folgenden Jahren die Willensbildung in Parlament, Medien und Gesellschaft. Am Ende stand die schrittweise gesetzliche Rehabilitierung der Verfolgten der NS-Militärjustiz (2005/2009) sowie – als konsequenter nächster Schritt – gewissermaßen der Transfer dieser Entscheidungen vom Gesetzbuch auf die Straße: die Errichtung des Denkmals am Ballhausplatz.

 

Literaturhinweise:

Walter Manoschek: Österreichische Opfer der NS-Militärjustiz. Auf dem langen Weg zur Rehabilitierung. In: Geldmacher, Thomas u.a. (Hg.): „Da machen wir nicht mehr mit“. Österreichische Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Wien 2010, S. 31-49.

Hannes Metzler: Folgen einer Ausstellung. Die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in Österreich. In: Geldmacher, Thomas u.a. (Hg.): »Da machen wir nicht mehr mit«. Österreichische Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Wien 2010, S. 50-62.

Peter Pirker: Vom Kopf auf die Füße. Das Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz in der Erinnerungslandschaft Wien. In: Alton, Juliane; Geldmacher, Thomas; Koch, Magnus; Metzler, Hannes (Hg.): „Verliehen für die Flucht von den Fahnen“. Das Wiener Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz, Wien 2016, S. 126-159.

 

 

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